09.01.2013 Aufrufe

Untitled - European Borderlands

Untitled - European Borderlands

Untitled - European Borderlands

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

der Hoffnung hatten sich die Männer in ihren Augen im Allgemeinen verändert, die Mädchen aus<br />

Mindszent, die über ihrer Bügelwäsche Tränen vergossen, taten ihr leid. Das Wasser kochte, sie<br />

hatte im Laufe der Woche schon ihre Kleider gewaschen, jetzt wollte sie sich waschen, vor dem<br />

Stall, im Bereich vor der Kohlenkammer störte sie niemanden, sie stellte die Emailschüssel auf<br />

einen Schemel, ihre Elfenbeinhaut war noch nie von einem Mann berührt worden, ängstlich, mit<br />

einer gewissen Beklemmung dachte sie daran, wie es wohl sein würde, wenn es irgendwann einmal<br />

dazu käme. Vielleicht würde ja gerade der Mann, der an diesem Nachmittag zu ihr kam, der statt<br />

nach Szentes zu fahren, auf dem Weg zu ihr war, derjenige sein, der über ihr straff geflochtenes<br />

Haar streichen, sie an sich ziehen würde. Er ist bestimmt von unstetem oder ungeduldigem<br />

Charakter, dachte Jusztika, sie versuchte, mit Verachtung an ihn zu denken. Die Stimmen der<br />

Erdarbeiter hörte man kaum noch, die Truppe hatte sich entfernt, sie vernahm das Tuten des<br />

Zuges aus Vásárhely, er fuhr wohl gerade am Friedhof vorbei, dort, beim Bahnhofsübergang der<br />

Siedlung, hupte er immer. Was, wenn der Mann nicht gut aussieht, wenn er ihr nicht gefällt? Sie<br />

zog ihr Hemd aus und spritzte das warme Wasser in ihre Achselhöhle. Sie blickte ins Wasser, als<br />

würde sie sich darin erkennen können. Ihre Hände zitterten. Wovor sie sich fürchtete, war nicht,<br />

dass der Mann hässlich sein oder er ihr nicht gefallen könnte. Was, wenn er sich nicht für sie<br />

interessierte? Plötzlich ergriff sie eine ungeheure Wut auf die Kuppler, wenn dieser junge Mann<br />

namens Márton sich doch für das Mädchen aus der Stadt entscheiden würde, diese Schande würde<br />

sie niemals überleben. Sie wusch ihr Gesicht. Und noch einmal. Noch einmal. Noch einmal. Als<br />

könnte man böse Vorahnungen, schlimme Befürchtungen einfach so wegwischen.<br />

Als Márton ankam, konnte Jusztika an nichts anderes mehr denken, als dass er doch lieber<br />

gleich wieder gehen würde. Die Muhme hielt ihn auf, plauderte mit ihm auf dem Hof. Gerade<br />

sprach Márton, er betrat das Haus mitten im Satz und Jusztika war bis zu dem Augenblick wütend<br />

auf ihre Muhme gewesen, weshalb sie ihn denn aufhielt, doch da, als Márton eintrat und ihm<br />

mitten im Satz das Wort im Hals stecken blieb und er sie ansah, sie anstaunte, bewunderte, als<br />

könne er sich nicht mehr von der Stelle rühren, war sie ihr bereits dankbar. Márton sah sie an,<br />

seine Augen waren feucht, als wäre er ganz ergriffen, er hatte Blumen mitgebracht, aber vergaß, sie<br />

ihr zu übergeben, er vergaß auch, sie zu begrüßen, das Lachen der Muhme brach die Stille, Jusztika<br />

taute auf, all ihre bösen Vorahnungen waren verflogen, ein märchenhafteres erstes Treffen hätte<br />

sie sich gar nicht erdenken können. Die Muhme bot ihm an, sich zu setzen, Márton setzte sich,<br />

wie er war, mit Hut, in der Hand der Blumenstrauß, er hatte sich immer noch nicht vorgestellt,<br />

da kam Onkel Ábel, der Onkel der Muhme, er blickte zu Márton und wusste, dass bereits alles<br />

entschieden war, das erfreute ihn sichtlich und später sagte er mehrmals zu Jusztika, die großen<br />

Dinge des Lebens würden oft durch so lächerlich kleine Blicke entschieden, ein Blick, der zwei<br />

Menschen zueinander führen kann oder ein Wegsehen und zwei Fremde stolpern weiterhin ihren<br />

eigenen, einsamen Weg entlang. Onkel Ábel bot Márton Obstler an, du darfst ihn trinken, wenn du<br />

ihr endlich den Strauß gibst, sagte er, Márton errötete, trat an Jusztika heran, er roch nach Parfüm<br />

und Rauch, stellte sich ihr vor, Jusztika hatte noch nie einen so seltsamen, slawisch klingenden<br />

Namen gehört, den Namen, der bald auch der ihre werden sollte, er bedeutet der Grieche, wir haben<br />

griechische Wurzeln, sagte Márton, Und seid Philosophen, was?, neckte ihn Onkel Ábel, erhob dann<br />

das Glas, ein Bauernjunge mit griechischen Wurzeln, murmelte er in seinen Schnurrbart, hat man<br />

sowas schon gehört?<br />

Sie unterhielten sich bis zum Abend, Jusztika versuchte tagelang, sich daran zu erinnern,<br />

worüber, aber ihr wollte keines der Themen einfallen. Wenn sie ans sandige Theißufer spazierte, um<br />

die Fischer in ihren Zillen oder die Dampfer auf dem Weg nach Szeged zu beobachten, die Kähne,<br />

wie sie aus Csongrád das aus der Körös gefischte Schwemmholz transportierten… aber eigentlich,<br />

um in ihrer Einsamkeit über Márton nachsinnen zu können, fiel ihr immer wieder nur die Wärme<br />

ein, die Wärme des Gesprächs. Der Nachmittag strich vorüber, Márton wollte keinen Obstler mehr,<br />

er musste schon nach dem ersten Schluck husten, er versuchte, es zurückzuhalten, was ihm jedoch<br />

nicht gelang, Onkel Ábel klopfte ihm auf den Rücken, das muss dir nur vor mir peinlich sein, sagte er<br />

zu ihm, die Frauen freuen sich. Und er wusste gar nicht, wie wahr er sprach, Jusztika lachte beinah<br />

vor Freude, sie hatte sich gerade so einen schüchternen jungen Mann gewünscht, der sich nichts<br />

aus Wein und Obstler machte. Sonst bist du doch so gesprächig, sagte die Muhme, sah dabei Jusztika<br />

an, deren Magen sich sogleich verkrampfte, sie spürte, wie die Säure brannte, wie konnte sie nur<br />

so etwas sagen, am Ende würde Márton noch von ihr denken, sie sei geschwätzig. Sie sagte nichts,<br />

aber ihre Augen, ihre Augen, die hassten die Muhme, die Frau lachte, sie ließ sich den Obstler<br />

schmecken, Onkel Ábel ebenfalls, Jusztika war erbost darüber, dass die Muhme und ihr Onkel<br />

39<br />

K r i s z t i á n G r e c s ó - I c h l a s s e d i c h z u

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!