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Untitled - European Borderlands

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N o r a B o s s o n g - W e b e r s P r o t o k o l l<br />

Verwandten, zumindest hier im Norden.<br />

„Es ist aber so”, sagte das Mädchen. „Fragen Sie doch in Ravensbrück nach.“<br />

Weber knistert in seinen Akten, er spürt ein Kneifen im Nacken, aber aufsehen mag er nicht.<br />

„Herr Konsul, Sie wissen, was man mit mir macht, wenn Sie meinen Pass nach Vorschrift<br />

ausstellen.“<br />

Es sei Krieg, murmelt Weber. Da sei es nirgendwo vollkommen sicher. Sie solle doch froh sein, dass sie<br />

in Italien lebe. Warum sich ihre Mutter überhaupt in Deutschland aufgehalten habe, fragt Weber, fügt<br />

schnell hinzu: Sie solle die Frage vergessen, es sei ja unwichtig.<br />

„Herr Konsul, Sie wissen, wenn Sie den Pass nach Vorschrift ausstellen –“<br />

Warum sie überhaupt zu ihm komme, unterbricht Weber sie. Er sei für diese Passangelegenheit im<br />

Grunde nicht zuständig.<br />

„Weil Sie hier mittlerweile der einzige sind, der nicht beim Sicherheitsdienst ist und nicht bei der SS.“<br />

Was denke sie denn von ihm? fährt Weber sie an. Was glaube sie denn, wer er sei? Nur weil er keine<br />

Militärstiefel trage, sei er kein Partisanenkämpfer.<br />

Das Mädchen sieht ihn an, so wie man mit fünfzehn überhaupt niemanden ansehen kann, ist Weber<br />

sich sicher. Aber in ihrem Ausweis kann er ablesen, dass sie erst fünfzehn ist. Leiser, den Blick auf ihre<br />

Papiere gerichtet, fügt er hinzu oder er denkt es nur: Überhaupt sei er kein Held. Er mache hier nur seine<br />

Arbeit. Nein, ein Held sei er nicht und wolle das auch gar nicht werden.<br />

Diese ganze Stempelei, erklärt Weber nun etwas lauter, das habe doch nicht er sich einfallen lassen.<br />

Er sei Diplomat und das seit den Zwanzigern, er habe mit all dem nichts zu tun, deshalb säße er doch<br />

hier, in Mailand und nicht in Breslau. Er habe ja nicht ahnen können, dass Mussolini so einfach in einem<br />

Krankenwagen zu entführen sei, die Deutschen in Italien einmarschierten und eine Republik gründen<br />

würden. Er habe mit all dem nichts zu tun – nie etwas zu tun haben wollen.<br />

„Ja”, sagt das Mädchen. „Und Sie sind im Grunde auch gar nicht dafür zuständig.“ Sie lacht kurz auf,<br />

Weber hört, wie sie mit ihren Schuhen gegen das Holz seines Schreibtisches stößt. „Deshalb wäre es auch<br />

kein Vergehen von Ihnen, wenn Sie mir nichts weiter in meinen Pass hineinstempelten. Sie sind ja gar<br />

nicht zuständig dafür.“<br />

Weber hebt seinen Kopf, das Mädchen blickt ihn an, nicht bittend, nicht unsicher, beinah überlegen.<br />

Es ist Weber, als nähme sie ihm für den Moment jene Verantwortung ab, die er nie hat besitzen wollen.<br />

Im Prinzip sei er schon dazu berechtigt.<br />

Der Schuh des Mädchens stößt wieder gegen das Holz des Tischbeins. Ihre vor ihm gefalteten Hände.<br />

Orangen.<br />

Er sei zwar dazu berechtigt, aber genau genommen falle es eher in den Aufgabenbereich seines<br />

Kollegen Palmer. Wenn er sie, Carlotta Grispaldi, nun also auffordere, zu Konsul Palmer zu gehen, um die<br />

Ausfüllung des Passes zu komplettieren, läge es ganz in ihrer Verantwortung, wenn sie sich diesem Befehl<br />

widersetze. Solange er nichts davon wisse, läge das ganz in ihrer Verantwortung.<br />

Das Mädchen nickt.<br />

Das Büro von Herrn Konsul Palmer sei die zweite Tür links, informiert Weber sie und reicht ihr den<br />

Pass. Er wünsche ihr alles Gute.<br />

74 Das behaupteten derzeit viele, murmelt Weber. Plötzlich hätte jeder Italiener einen deutschen

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