Anhang - Institut für Zeitgeschichte
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Literatur 519<br />
Ist es nun aber möglich, jenseits der exzellenten Darbietung der Fakten die Interpretation<br />
Peter Krügers zu teilen, wonach die Weimarer Republik bereits 1919 die Außenpolitik<br />
machen wollte, die Stresemann im Winter 1923/1924 definierte? Kann man im Zusammenhang<br />
mit einer neuen Außenpolitik Deutschlands sogar bis ins Jahr 1917 zurückgehen? War<br />
der Vertrag von Versailles die Quelle allen Unglücks? Ist es nicht ein gewisser Anachronismus,<br />
im Deutschland des Jahres 1919 das Deutschland des Jahres 1924 zu sehen? (Und im Auswärtigen<br />
Amt von 1919 das von 1924?)<br />
Auch der Analyse des Jahres 1922 kann nicht ohne Vorbehalte zugestimmt werden. Man<br />
kann den Autor deswegen nicht allzusehr kritisieren, denn er arbeitete auf der Basis des<br />
damals verfügbaren Quellenmaterials und noch unter dem Einfluß traditioneller Interpretationen.<br />
Seither ermöglichen neu zugängliche Quellen eine genauere Kenntnis der Konferenz von<br />
Cannes im Januar 1922 12 und der Konferenz von Genua im April/Mai des gleichen Jahres 13 .<br />
Dagegen kann man Krügers Interpretation der Konferenz von Rapallo nicht teilen, die er als<br />
eine Art unlogische und trügerische, ja gar illusionäre Episode präsentiert, die die nach<br />
Ansicht des Autors seit 1919 bestehende Kontinuität des deutschen Willens zur Befriedung der<br />
Konflikte und zur Zusammenarbeit mit der liberalen Welt nicht grundlegend in Frage gestellt<br />
habe, eines Befriedungs- und Kooperationswillens, der eingebettet war in einen neuen Stil der<br />
Außenpolitik unter Ausschluß der Methoden der Machtpolitik und des fait accompli, wie sie<br />
das frühere Deutschland anwandte 14 . Man muß meiner Ansicht nach zugestehen, daß die<br />
Politik von Rapallo eine Alternative <strong>für</strong> die junge Republik von Weimar war (die Anhänger<br />
von Kontinuitätsthesen werden nicht bestreiten, daß die Weimarer Außenpolitik historisch<br />
kein Monopol auf die deutsch-sowjetische Alternative hatte) und daß diese Alternative nicht<br />
nur Adepten im Lager der Militärs und in Kreisen der Wirtschaft hatte, sondern auch in<br />
bestimmten politischen Parteien und bis ins Auswärtige Amt hinein.<br />
Zudem war Rapallo nicht nur eine Episode. Es war der Ausgangspunkt des Entscheidungsprozesses,<br />
der Poincaré schließlich im November 1922 die Idee der Ruhrbesetzung be<strong>für</strong>worten<br />
ließ 15 . Dem „Ruhrkampf" von Januar bis August 1923 sind acht Seiten des Buches gewidmet.<br />
Es ist verständlich, daß der Autor auf so begrenztem Raum die sehr komplexe<br />
Problematik der deutschen Politik während dieser zehn tragischen Monate nicht erschöpfend<br />
behandeln kann 16 .<br />
Damit kommt der Leser zu dem zentralen Kapitel, das dem Werk Peter Krügers seine<br />
12 Vgl. die Briand-Papiere.<br />
13 Carole Fink, The Genoa Conference, European Diplomacy, 1921-1922, Chapel Hill 1984. Auf<br />
Betreiben von Carole Fink wird zur Zeit eine internationale Arbeitsgruppe zur Problematik des Jahres<br />
1922 eingesetzt, in der unter anderen Peter Krüger und der Autor dieser Rezension mitwirken<br />
sollen.<br />
14 Nicht unproblematisch erscheint es dem Leser, wenn der Autor im Kontext des „neuen Stils" der<br />
deutschen Außenpolitik hinzufügt: „. . . wenn auch manchmal quellenmäßig schwer zu fassen";<br />
Krüger, Außenpolitik, S. 78.<br />
15 Jacques Bariéty, Les relations franco-allemandes apres la première guerre mondiale, Paris 1975.<br />
16 Krüger, Außenpolitik, S. 199-206. Hinsichtlich des „Ruhrkampfs" und der Rheinland-Frage verweist<br />
Peter Krüger auf Jacques Bariéty, Les relations, Walter McDougall, France's Rhineland<br />
Diplomacy, 1914-1924, Princeton 1978, und auf das Buch, das Ludwig Zimmermann nach dem<br />
Krieg ausgehend von den Aufzeichnungen schrieb, die er im Quai d'Orsay in den Jahren 1940-1944<br />
angefertigt hatte (als er das Privileg besaß, dort arbeiten zu können): Frankreichs Ruhrpolitik von<br />
Versailles bis zum Dawes-Plan, Göttingen 1971.<br />
Es erstaunt, daß das Buch Karl Dietrich Erdmanns, Adenauer in der Rheinlandpolitik nach dem<br />
Ersten Weltkrieg, Stuttgart 1966, <strong>für</strong> diesen Abschnitt über das Jahr 1923 weder benutzt wurde<br />
noch Erwähnung findet. Die Problematik, die mit dem Namen Adenauers und dem Jahr 1923 verbunden<br />
ist, wird nicht behandelt.