Anhang - Institut für Zeitgeschichte
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Der Griff des NS-Regimes nach Elite-Schulen 405<br />
achtender Regierungsvertreter 3 . Die Aufgaben der Inspektoren reichten von der<br />
Förderung bei schulischen Problemen über die Aufsicht während der Lernzeit auf<br />
der Stube bis zur Überwachung der Sauberkeit, der Ordnung am Arbeitsplatz, der<br />
Pünktlichkeit vom Aufstehen bis zum Zubettgehen und zu Fragen des äußeren<br />
Anstands. Der P. O. - Primus Omnium - war <strong>für</strong> die Gesamtheit verantwortlich,<br />
und von seiner Reife und Durchsetzungsfähigkeit wurde die jeweilige Atmosphäre<br />
an der Schule stark mitbestimmt.<br />
Für diese Ämter bestand ein Wahl- oder Vorschlagsrecht der jeweiligen Altersgruppe,<br />
das vom Schulleiter bei den höheren Ämtern durch Handschlag bestätigt<br />
wurde. Er konnte wohl auch gelegentlich selbst Vorschläge ventilieren und, in eher<br />
seltenen Fällen, eine Absetzung verfügen, doch erwies sich die Urteilsfähigkeit der<br />
Vorschlagsberechtigten oft als erstaunlich zuverlässig, wie ein Lehrer später berichtete<br />
4 .<br />
Grundsätzlich sollte der höhere Vertreter sich als der ältere Bruder fühlen, ein<br />
Prinzip, mit dem man, weitgehend erfolgreich, den in früheren Zeiten sehr häufig<br />
beklagten „Pennalismus" an den Schulen abgestellt hatte, der zu zahlreichen Fällen<br />
von Schikane gegenüber den schwächeren Jüngeren geführt hatte. Vorwürfe von<br />
Übertreibung und Härte bei der Durchsetzung ihrer Autorität mußten die Primaner<br />
sich dennoch gelegentlich anhören; <strong>für</strong> Empfindsame, besonders Einzelkinder, war<br />
der Übergang vom Elternhaus in das Internat mit schmerzhaften Anpassungs- und<br />
Lernprozessen verbunden.<br />
Zu der alten, schuleigenen Tradition gehörte auch ein von vielen Generationen<br />
entwickelter, reicher Jargon. Er bezog sich ebenso auf schulische Einrichtungen wie<br />
bestimmte Sitten oder Unsitten, Räumlichkeiten und Personen. Teils bestand er aus<br />
Entlehnungen aus dem studentischen Vokabular, teils aus Verballhornungen lateinischer<br />
Ausdrücke oder jugendlicher Nonsens-Sprache. Die Joachimsthaler bezeichneten<br />
- wohl in unbewußter Reminiszenz ihres zwei Jahrhunderte währenden Aufenthalts<br />
in der bürgerlichen Umgebung Berlins - alle Ortsschüler als „Spießer" und<br />
die Tertianer als „Füchse". Dementsprechend gab es „Leibfüchse" - einen mit kleinen<br />
Dienstleistungen <strong>für</strong> einen bestimmten älteren Schüler betrauten Tertianer. Eine<br />
Dreigliederung des Coetus entsprechend den altermäßig bedingten Funktionen<br />
hatte in Schulpforta schon in weit zurückliegenden Jahrhunderten stattgefunden,<br />
man unterschied zwischen Unter-, Mittel- und Obergesellen; später fiel der altertümliche<br />
Begriff des Gesellen weg, es blieben Untere, Mittlere und Obere, die im<br />
Arbeitsraum und bei Tisch Aufsichtsfunktionen hatten. Die in Schulpforta besonders<br />
3 Der Hebdomadar wohnte während dieser Zeit bei den Schülern; die Lehrer hatten ihre eigenen<br />
Dienstwohnungen innerhalb der Schulanlage. Das Hebdomariat war ein wesentliches Charakteristikum<br />
der sächsischen Fürstenschulen und wird in der Literatur durchgängig positiv beurteilt.<br />
4 OStDir. O. Lorenz, „Roßleber Nachrichten", Nr. 101, Jan. 1968, S. 20: „Erstaunlich fand ich die<br />
Sicherheit, mit der von Seiten der Schüler personelle Maßnahmen getroffen bzw. vorgeschlagen<br />
wurden." Gelegentliche Zweifel des Kollegiums an den Vorschlägen erwiesen sich als unberechtigt,<br />
Ernennungen nach eigenem Ermessen als Fehlentscheidungen. L. war von 1938-1945 Lehrer in<br />
Roßleben.