Anhang - Institut für Zeitgeschichte
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Der Griff des NS-Regimes nach Elite-Schulen 409<br />
Bräuche erinnernde Gestaltung lag zum größten Teil in den Händen des Coetus.<br />
Der P. O. antwortete auf die Abschiedsrede des Rektors mit einer Ansprache an das<br />
Kollegium, aber auch an die zurückbleibende Schulgemeinschaft, die wiederum<br />
durch einen Sekundaner den Abgehenden ihren Dank (oder auch ihre Kritik) <strong>für</strong><br />
die zurückliegende Inspektoratstätigkeit aussprach. Diese Reden waren keine<br />
Pflichtübungen, sondern wurden kritisch an ihrem geistigen Gehalt, mitunter auch<br />
dem Witz, gemessen und stellten eine letzte Erinnerung an die in früheren Jahrhunderten<br />
gepflegte Rhetorik und Disputation dar. Neben mancherlei studentischen<br />
Bräuchen („Rausprügeln" 13 , Fackelzügen) folgte der feierliche Auszug, nach dem<br />
Gesang des Schulchors (in St. Afra das Komitat von Mendelssohn), wobei mitunter<br />
noch <strong>für</strong> jeden einzelnen die Schulglocke geläutet wurde.<br />
Alle diese Traditionen erfuhren ihren ersten tiefen Einbruch während des Ersten<br />
Weltkriegs, als Primaner und teilweise auch Obersekundaner freiwillig einrückten<br />
und die Liste der Gefallenen, darunter auch Lehrer, jährlich anstieg 14 . Eine Wiederaufnahme<br />
nach dem Kriege, von Schülern gefordert, wurde durch die veränderte<br />
schulpolitische Situation, über die noch zu sprechen sein wird, wie auch die wirtschaftliche<br />
Existenzgefährdung der Schulen erschwert. Über Versuche in dieser<br />
Richtung wird mehrfach berichtet, im einzelnen läßt sich die Entwicklung nicht<br />
mehr nachzeichnen. Grundsätzlich wurden aber die hier dargestellten Traditionen in<br />
mehr oder minder deutlicher Form fortgeführt, wobei der Anstoß während der NS-<br />
Zeit offenbar stärker von Schülerseite kam.<br />
Militärische Überlieferung spielte wohl in einzelnen Familien, nicht aber im<br />
Erziehungsverständnis der Schulen eine Rolle, abgesehen von Liegnitz, wo sie die<br />
Internatsordnung mit einem Anklang an österreichisches Vorbild 15 stärker<br />
bestimmte. Die Bereitschaft zur Vaterlandsverteidigung war ebenso Teil des historischen,<br />
auf 1806/13 zurückgehenden nationalen Erbes wie Folge des intensiven<br />
Klassikerstudiums in den alten Sprachen; ihre Feuertaufe erhielt sie im Ersten Weltkrieg,<br />
und Mahnmale <strong>für</strong> die gefallenen Schüler und Lehrer erinnerten an die<br />
furchtbaren Verluste. Erziehung zum Kriege lag den Schulen ebenso fern wie eine,<br />
heutigem Denken und Empfinden entsprechende, bewußte Erziehung zum Frieden.<br />
Das Vertrauen in eine von allgemein verbindlichen, unzerstörbaren Rechts- und<br />
Gerechtigkeitsnormen bestimmte Staatsführung war bis 1918 unerschüttert, und die<br />
anschließend einsetzende Erörterung der Kriegsschuld entzog durch ihre Emotionalität<br />
aller sachlichen Auseinandersetzung von vornherein den Boden.<br />
Von den erbitterten innenpolitischen Gegensätzen während der Weimarer Repu-<br />
13 In Schulpforta benutzte man dazu Distelzweige oder nasse, gedrehte Handtücher (mündl. Mitteilg.<br />
G. Störmer, in Schulpforta bis 1935), eine letzte Möglichkeit <strong>für</strong> die Jüngeren, Beliebtheit oder<br />
Unbeliebtheit der Inspektoren fühlbar zu demonstrieren. Am Joachimsthalschen Gymnasium gab es<br />
hier<strong>für</strong> das „Fuchsenfest", bei dem die Tertianer den Primanern Befehle erteilen durften.<br />
14 Für Schulpforta werden <strong>für</strong> den Ersten Weltkrieg 213 Gefallene angegeben, <strong>für</strong> das Joachimsthalsche<br />
Gymnasium 227, <strong>für</strong> Grimma 150, <strong>für</strong> die Ritterakademie Brandenburg (durchschnittl. ca. 50<br />
Zöglinge) 76, <strong>für</strong> Roßleben <strong>für</strong> beide Weltkriege 524.<br />
15 Liegnitz war 1706 nach dem Vorbild des Wiener Theresianums eingerichtet worden.