Anhang - Institut für Zeitgeschichte
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Der Griff des NS-Regimes nach Elite-Schulen 413<br />
Obwohl im einzelnen nicht nachzuweisen, hat diese Neuregelung zweifellos dazu<br />
beigetragen, während der jahrelangen, tiefen Verunsicherung nach dem Kriege, auf<br />
die die Jungen mit Mißstimmung, Uneinigkeit, nachlassender Leistung, Kritik an<br />
den Lehrern und Suche nach einem neuen Gemeinschaftsgefühl reagierten, ein Entgleisen<br />
in Despotie oder Anarchie zu verhindern: Staatliche Eingriffe durch Lehrerund<br />
Schulleiterwechsel führten zu andauernder Beunruhigung und Frontstellung<br />
gegen einen Staat, dem es, trotz aller gegenteiligen Erklärungen, offenbar nur um<br />
Zerstörung bewährter <strong>Institut</strong>ionen und politische Unterjochung ging.<br />
Gleiche Sorgen bewegten Schulpforta. Ein rechtzeitig unternommener Versuch,<br />
die durch das Stiftungsvermögen gesicherte Unabhängigkeit mit Hilfe einer strukturellen<br />
Änderung der Vermögensverwaltung zu erhalten, konnte nicht verhindern,<br />
daß ein Staatszuschuß schließlich dennoch beantragt werden mußte. Scharfe Auseinandersetzungen<br />
um die von staatlicher Seite als dringend erforderlich bezeichnete<br />
Reform der Schule folgten, wobei die Kritik am Rückgang des wissenschaftlichen<br />
Standards mit einem überholten Erziehungssystem in Verbindung gebracht<br />
wurde. Vor allem der hohes internationales Ansehen genießende Altphilologe Ulrich<br />
v. Wilamowitz-Moellendorf, überzeugter Monarchist und Gegner des Parlamentarismus,<br />
vertrat mit leidenschaftlichem Engagement, aber auch bitterer Polemik die<br />
Traditionen seiner Schule 20 . Der 1848 geborene Gelehrte hatte <strong>für</strong> seine außerordentlichen<br />
Verdienste um die Altertumswissenschaft zahlreiche Ehrungen vor dem<br />
Ersten Weltkrieg erhalten und war Mitglied einer Reihe ausländischer wissenschaftlicher<br />
Akademien. Seinen Protest gegen eine deutsche Schuld am Krieg hatte er<br />
schon 1914 öffentlich geäußert und wurde daraufhin von der Pariser Akademie der<br />
Wissenschaften ausgeschlossen 21 . Das Wort einer solchen Persönlichkeit, die nach<br />
wie vor als eine Art Doyen der Geisteswissenschaften angesehen wurde, galt nicht<br />
nur viel bei ihren Schülern und Freunden, und der Kampf um Schulpforta begann<br />
die Öffentlichkeit zu beschäftigen. Wilamowitz hatte im Vorwort zu seinen 1925<br />
neu erschienenen „Reden und Vorträgen" von „Tyrannen im ehemaligen Kultusministerium"<br />
gesprochen und ihnen die „brutale Vergewaltigung" der Schule vorgeworfen.<br />
Ein leitender Ministerialbeamter antwortete darauf in einem Schreiben an<br />
Wilamowitz und verteidigte die Maßnahmen des Ministeriums, die man als „sozialdemokratische<br />
Gleichmacherei" mißdeute. Man wolle Schulpforta vielmehr wieder<br />
zu einer „Musteranstalt" machen, und die Einführung von sonst überall üblichen<br />
Erziehern sei eine Maßnahme, die den durch wissenschaftliche Neigungen und<br />
eigene Familie in Anspruch genommenen Lehrer entlasten solle.<br />
Beide Schulen konnten sich darauf berufen, daß bereits im vergangenen Jahrhundert<br />
der gleiche Versuch gemacht und nach einiger Zeit wieder aufgegeben worden<br />
20 In einer Würdigung der Verdienste und der Persönlichkeit Wilamowitz' spricht der Portenser Lehrer<br />
Friedrich Müller von der „junkerlichen-brüsken, oft rücksichtslosen Art" Wilamowitz', die auf<br />
Widerstand stoßen mußte; H. Gehrig (Hrsg.), Schulpforte und das deutsche Geistesleben, Darmstadt<br />
1943, S. 125.<br />
21 Gehrig, S. 122.