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Anhang - Institut für Zeitgeschichte

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436 Marianne Doerfel<br />

am Tage vor dem Jubiläum unter der Leitung Dr. Hartlichs ein Treffen in Dresden<br />

veranstaltete, das eine unerwartet hohe Besucherzahl aufwies. Ihre Abwesenheit am<br />

Festtage mußte als deutliche Distanzierung von der neuen Schule wirken. Sie trat<br />

auch in der Rede ihres zu der Feier erschienenen Vertreters, bei aller vorsichtigen<br />

Zurückhaltung, klar zutage. Der mehrfache Hinweis auf den „afranischen Dreiklang"<br />

wurde von allen als versteckter Appell, an den christlichen Werten festzuhalten,<br />

verstanden, und es kam zu einem letzten, dramatischen Eklat, der auf nationalsozialistischer<br />

Seite große Erbitterung auslöste. Man hätte an sich mit einem<br />

programmgemäßen Verlauf der Feier rechnen können, da die Schüler „führerlos"<br />

waren: die Primaner hatten ihr Abitur vorzeitig abgelegt und waren einberufen,<br />

Ober- und Untersekunda als Luftwaffenhelfer im nahegelegenen Leuna eingesetzt.<br />

Diese Gruppe hatte aber überraschend Urlaub <strong>für</strong> den Tag erhalten und reagierte mit<br />

einer spontanen, Minuten dauernden Ovation auf die Rede. In einem kürzlich aufgetauchten<br />

Bericht, der vermutlich <strong>für</strong> den SD bestimmt war, wurde von „tosendem<br />

Beifall und wüstem Getrampel" gesprochen, „obwohl die Rede einen einzigen, versteckten<br />

Angriff gegen die SS und gegen eine Maßnahme des Führers darstellte" 82 .<br />

Im folgenden Herbst wurde das Lehrerkollegium in seiner Mehrheit ausgewechselt<br />

83 und ein SS-Hauptsturmführer Internatsleiter. Anschließend teilte die Inspektion<br />

der Deutschen Heimschulen mit, daß man „aus grundsätzlichen Erwägungen<br />

auch von einer radikalen Reinigung innerhalb der Jungmannschaft der D. H. Meißen<br />

nicht absehen" könne und etwa 50 Jungen an die Deutsche Heimschule Prag zu<br />

verlegen seien 84 . Als Ersatz würden 50 Jungen aus dem Joachimsthalschen Gymnasium<br />

nach Meißen kommen; die Absicht des neuen Internatsleiters, die Umstellung<br />

„Schritt <strong>für</strong> Schritt mit Fingerspitzengefühl und Takt... ohne jeden Eklat" durchzuführen,<br />

war damit zunichte gemacht. Bis zum 1. November 1943 verließen 24 Jungen<br />

die Schule, und in den letzten beiden Monaten des Jahres folgten 60 weitere.<br />

Die Schulleitung des Joachimsthalschen Gymnasiums konnte zwar den Verlegungsbefehl<br />

umgehen - es kamen schließlich nur 5 Jungen nach Meißen -, war<br />

inzwischen aber selbst in den großen Sog der Organisation Heißmeyer geraten. Der<br />

Glanz des Patrons Hermann Göring war längst verblaßt; ein an ihn gerichtetes<br />

Gesuch, die Schule in der alten Form zu erhalten, wurde an die Heimschulinspektion<br />

weitergeleitet, die mit der Ablösung des Schulleiters im Januar 1944 reagierte.<br />

Damit war die letzte Fürstenschule Deutsche Heimschule geworden.<br />

82 S.<strong>Anhang</strong> Dok. Nr. 2.<br />

83 Die Maßnahmen waren organisatorisch kaum vorbereitet, die Lehrer fanden in den neuen Schulorten<br />

keine Wohnungen und mußten täglich hin- und herfahren (Bericht Lorenz, S. 13).<br />

84 Die Aktion ist eines der vielen Beispiele <strong>für</strong> den Zynismus, mit dem die NS-Machthaber die Jugend<br />

nur noch als kriegsdienstfähiges Menschenmaterial betrachteten. Ein damals 15-jähriger Schüler<br />

schrieb über seinen 16 Monate dauernden Aufenthalt an der Deutschen Heimschule Prag: „Einen<br />

Tagesplan voll von Appellen, Geländedienst und wehrpolitischer Erziehung regelten Trillerpfeifen,<br />

die fast nie schwiegen... Der Unterricht wurde vollkommen in den Dienst weltanschaulicher Schulung'<br />

gestellt." Die Schulzeit endete Anfang 1945 mit Volkssturm und Gefangennahme durch die<br />

Amerikaner (Priv. Aufzeichnung G. Gräfe, Afr.-Archiv).

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