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Anhang - Institut für Zeitgeschichte

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Literatur 535<br />

politischen Aufgaben einzuspannen." Fundamentalisten hatten <strong>für</strong> derartige weltliche<br />

Geschäfte keinen Sinn. Im Dezember 1923 war von Seger gesagt worden (Bd. 1, S. 698):<br />

„Wenn das Interesse der Arbeiterschaft dem Staatsinteresse gegenübersteht, haben wir im<br />

Interesse der Arbeiterschaft zu handeln. Der grundlegende Fehler ist, daß sich bei uns die<br />

Auffassung von einem über dem Ganzen stehenden Staat eingebürgert hat."<br />

Solch primitive Anschauungen spielten nur denjenigen auf der deutschen Rechten in die<br />

Hände, die der Sozialdemokratie und der Arbeiterbewegung jede Rolle im politischen Leben<br />

Deutschlands verwehren wollten. Wichtiger noch: Diese Anschauungen stärkten die Hand<br />

derjenigen in der Parteiführung, die der Ausübung von Macht das Abwarten in der Opposition<br />

vorzogen. So kam es denn, daß ein klarer Kopf und energischer Führer wie Otto Braun<br />

nach dem Wahlerfolg der SPD von 1928 als Ministerpräsident in Preußen zu bleiben hatte,<br />

statt Reichskanzler zu werden. An seiner Stelle wurde <strong>für</strong> diese Aufgabe der grundanständige,<br />

aber weiche Hermann Müller auserkoren. Müller besaß weder die körperlichen Kräfte noch<br />

die mentale Kraft, seine Partei bei der ermüdenden Aufgabe zu halten, Deutschland mitten in<br />

einer weltweiten Depression zu regieren. Damit soll nicht gesagt werden, daß Braun Weimar<br />

hätte retten können, aber die Tatsache, daß man ihn nicht an die Spitze der SPD holte, illustriert<br />

das Zögern der Partei, eine klare Verpflichtung zur Rolle als Staatspartei zu übernehmen.<br />

Allerdings darf nicht vergessen werden, daß am anderen Ende des politischen Spektrums<br />

der Koalition ganz ähnliche Probleme auftraten und daß die Deutsche Volkspartei noch vor<br />

dem Tod Stresemanns großen Widerwillen dagegen zeigte, mit den Sozialdemokraten im gleichen<br />

Geschirr zu gehen.<br />

Dennoch war, im März 1930, die Entscheidung der SPD, mit ihren Koalitionspartnern zu<br />

brechen, verhängnisvoll. Die Zukunft der Republik wegen der Höhe der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung<br />

aufs Spiel zu setzen, hieß nur denjenigen Argumente zu liefern, die der<br />

Ansicht waren, daß sich die Sozialdemokraten in erster Linie als Interessenvertreter der organisierten<br />

Arbeiterklasse und nicht als nationale Regierungspartei verstünden. Gewiß spielten<br />

bei der Entscheidung die Gewerkschaften eine wichtige Rolle, und Müller hatte nicht die<br />

Autorität, sich über sie hinwegzusetzen. Wir verdanken Winkler eine überaus erhellende Darstellung<br />

dieser Episode, wobei Brüning, als ein ernsthaft nach einem Kompromiß suchender<br />

Politiker, keine schlechte Figur macht. Nachdem Brüning jedoch Reichskanzler geworden<br />

war, ergaben sich <strong>für</strong> einen Kompromiß größere Schwierigkeiten, da Reichspräsident v. Hindenburg<br />

und seine militärischen Berater der Handlungsfreiheit der neuen Regierung Grenzen<br />

setzten. Der Militärhaushalt und die „Osthilfe" hatten, trotz der verzweifelten wirtschaftlichen<br />

Lage, besonders berücksichtigt zu werden.<br />

Aber Brüning war kein Papen oder Schleicher, und die Zentrumspartei hatte im politischen<br />

Leben der Republik eine zentrale Rolle gespielt. Wäre es nicht klug gewesen, 1930, in jenem<br />

schwierigen Sommer, gegenüber dem Kabinett Brüning eine konstruktive Haltung einzunehmen?<br />

Das Gesamtpaket der Wirtschaftspolitik Brünings war <strong>für</strong> die Arbeiterbewegung unannehmbar,<br />

doch stimmten alle republikanischen Parteien - einschließlich der SPD - überein,<br />

daß Einschränkungen unvermeidlich seien. Wahlerfolge der NSDAP in Sachsen hätten die<br />

SPD ebenfalls warnen sollen, daß sie, indem sie eine Auflösung des Reichstags riskierte, mit<br />

dem Feuer spielte. Indes scheint die Entscheidung, <strong>für</strong> die Ablehnung der Brüningschen Wirtschaftspolitik<br />

einzutreten, in den Reihen der Partei wenig umstritten gewesen zu sein. Als der<br />

Reichstag im Juli 1930 abstimmte, traten die Sozialdemokraten neben Kommunisten, Nationalsozialisten<br />

und Hugenbergs Deutschnationale, um Brüning eine Niederlage zu bereiten,<br />

der nur noch die Unterstützung des Rests der republikanischen Mittelklasseparteien fand. Das<br />

Ergebnis bestand in einer katastrophalen Reichstagswahl, in der nur die Kommunisten und<br />

vor allem die Nationalsozialisten die Gewinner waren. Wenn die Sozialdemokraten gedacht<br />

haben sollten, daß eine Weile in der Opposition auf wundersame Weise ihre Popularität<br />

zurückbringen werde, so sahen sie sich bitter enttäuscht. Wie es ein Kommentator der SPD<br />

voll Erstaunen ausdrückte (Bd. 3, S. 201): „Erste Lehre der Wahlen vom 14. September ist die:

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