12.01.2013 Aufrufe

Anhang - Institut für Zeitgeschichte

Anhang - Institut für Zeitgeschichte

Anhang - Institut für Zeitgeschichte

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

440 Marianne Doerfel<br />

drängt, wobei der alte, noch einige Monate amtierende Schulleiter aber stillschweigend<br />

die Bildung privater Gruppen, die sich intensiv mit religiösen Fragen befaßten,<br />

tolerierte 94 .<br />

Die positive Einstellung zum Wehrdienst blieb von dieser Entwicklung jedoch<br />

unberührt. Sie war in den Augen der Schüler nicht nur selbstverständliche Pflicht im<br />

Kriege sondern ebenso Bestandteil der familiären wie der schulischen Tradition. Der<br />

Waffen-SS zeigte man dagegen kühle Verachtung. Als 1942 ein Werber erschien,<br />

„freuten sich alle mächtig auf das Gaudium" 95 . Abfällige Äußerungen des SS-Offiziers<br />

über die Leistungen des Heeres führten zu „eisiger Ruhe", und der Mangel an<br />

freiwilligen Meldungen mußte vom Schulleiter mit dem Hinweis auf die traditionelle<br />

Bindung an die Regimenter der Väter beschönigt werden.<br />

Fälle von religiös motivierter Renitenz traten aber auch noch unter dem nachfolgenden,<br />

von der SS-Heimschulinspektion eingesetzten Schulleiter auf. Als er das<br />

stehend still gesprochene Tischgebet verbot, kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung,<br />

die mit der Konzession des stillen Gebets im Sitzen endete. Offene, organisierte<br />

Opposition zeigte sich 1944 bei der Feier des Heldengedenktags (16.3.), diesmal<br />

unter Führung einiger Obertertianer, da die älteren Jahrgänge bei der<br />

Wehrmacht oder der Flak waren. Die Kirche war <strong>für</strong> die Feier mit zahlreichen<br />

Hakenkreuzfahnen dekoriert, und die Schulleitung hatte Parteifunktionäre eingeladen.<br />

Die Schüler, über den Ablauf des Programms informiert, hatten einen Boykott<br />

vorbereitet, und als unter Orgelbegleitung nationalsozialistische Kampflieder gesungen<br />

werden sollten, erhob sich ein Schüler und gab ein verabredetes Zeichen, woraufhin<br />

alle schwiegen. Ihr Protest richtete sich gegen den Mißbrauch der Kirche:<br />

Gedenkfeiern <strong>für</strong> die im Ersten und Zweiten Weltkrieg gefallenen ehemaligen Schüler<br />

waren von jeher üblich, auch mit militärischen Ehren. Ihre Ersetzung durch eine<br />

nationalsozialistische Feierstunde mit sakralem Rahmen wurde aber als flagranter<br />

Bruch mit der evangelischen Tradition der Schule empfunden, deutlich unterstrichen<br />

durch die Anwesenheit von Parteifunktionären, von denen man annehmen konnte,<br />

daß sie nicht mehr der Kirche angehörten.<br />

Drei Hauptschuldige wurden bald ermittelt und sofort der Schule verwiesen.<br />

Einer von ihnen war der Sohn des wenige Monate später hingerichteten Widerstandskämpfers<br />

Graf Schwerin-Schwanenfeld 96 .<br />

94 Initiator war ein Graf Baudissin, „ein wirklich hervorragender Mensch im wahrsten Sinne des Wortes.<br />

Weit über sein Alter gereift, er ist erst 17 Jahre und mit einem ungeheuren Wissen auf allen künstlerischen<br />

Gebieten und auch besonders fromm ... Es ist nebenbei ganz erstaunlich, wie schnell diese<br />

neuen Zusammenkünfte Freunde finden. Im ganzen ,coetus' flammen hier und da Feuer auf und<br />

langsam wird der Kreis immer größer" (B. v. Negenborn, 7. 12. 1941).<br />

95 B. v. Negenborn, 4. 4. 1942.<br />

96 Mündl. Mitteilung Wilhelm Graf Schwerin-Schwanenfeld. Es gelang, den damals 15-jährigen Graf<br />

Schwerin-Schwanenfeld im Gymnasium in Nordhausen/Harz unterzubringen, das der ehemalige<br />

Rektor von Roßleben leitete. Nach dem Attentat wurde er zu Hause (Sommerferien) mit seinen jüngeren<br />

Geschwistern verhaftet und sollte als über Vierzehnjähriger ins KZ. Die Verwendung seines<br />

Onkels, des Finanzministers, bewahrte ihn davor, und er kehrte nach 2 Monaten Haftzeit an die<br />

Schule zurück, bis zu seiner erneuten Verhaftung.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!