Anhang - Institut für Zeitgeschichte
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Der Griff des NS-Regimes nach Elite-Schulen 439<br />
Für die Schülerselbstverwaltung bedeutete der zunehmende Druck verschärfte<br />
Aufmerksamkeit, vor allem <strong>für</strong> den „P. O." (Primus Omnium) 90 und seinen Stellvertreter.<br />
Als Vertreter der Schülerschaft hatte der P. O. das Vertrauen des Rektors und<br />
bildete die erste Instanz bei Verstößen gegen die Internatsordnung. Er konnte disziplinarische<br />
Maßnahmen mit den nachgeordneten Amtsinhabern selbst beschließen<br />
und in gewissem Umfang selbstverantwortlich durchsetzen. Wenn die dabei nicht immer<br />
zu vermeidenden Loyalitätskonflikte politischen Charakter trugen, so mußte mit<br />
Rücksicht auf eine mögliche Denunziation entschieden werden, ob die Beilegung<br />
in eigener Regie die Position des Schulleiters und der Schule gefährdete oder die Meldung<br />
<strong>für</strong> einen Schüler bedrohliche Folgen nach sich ziehen konnte. Bezeichnendes<br />
Beispiel hier<strong>für</strong> ist ein Vorfall aus dem Jahr 1941. Auf dem Schlafsaal wurde eine<br />
Musiksendung des Londoner Rundfunks gehört: als Störung der Schlafsaalordnung<br />
ein Disziplinarverstoß, als Abhörung eines feindlichen Senders ein politisches Delikt,<br />
<strong>für</strong> das der verantwortliche Gruppenälteste mit Zuchthaus bestraft werden konnte.<br />
Auf die Meldung durch den Schülervertreter reagierte der Rektor mit einem salomonischen<br />
Urteil. Es wurde eine Amtsenthebung verkündet, eine Sanktion, die das<br />
Ehrgefühl traf, das politische Delikt wurde dagegen ignoriert 91 . Durch solche Entscheidungen<br />
wurde zwar der Zusammenhalt der hinter ihrer Schule stehenden Zöglinge<br />
gestärkt, sie zogen aber auch notwendigerweise ein Revirement nach sich,<br />
durch das der Kreis der Verantwortlichen verändert wurde; es mußte also von den<br />
älteren Zöglingen da<strong>für</strong> gesorgt werden, daß ein in der Gesinnung loyaler Nachwuchs<br />
zur Verfügung stand.<br />
Einen letzten Sieg errang die Schülerselbstverwaltung, als es gelang, einen mit<br />
Spitzelaufgaben eingeschleusten Zögling zur Verantwortung zu ziehen. Er hatte<br />
sich über das Jungvolk, auch unter den Dorfschülern, einen <strong>Anhang</strong> verschafft, und<br />
man mußte be<strong>für</strong>chten, daß Informationen über die durch Söhne in der Schule vertretenen<br />
Familien weiterberichtet wurden 92 . Eine heimlich von den älteren Schülern<br />
gebildete Untersuchungskommission ging den Vorfällen nach und erreichte<br />
dadurch, daß nach den - von zwei unvermutet aus Berlin eintreffenden Vertretern<br />
des Reichserziehungsministeriums durchgeführten - Vernehmungen das Urteil auf<br />
Entlassung des betreffenden Schülers lautete.<br />
Mit der Ende 1941 verkündeten Umstellung in eine Deutsche Heimschule veränderte<br />
sich das Klima. Eine unvorsichtige politische Bemerkung eines Schülers wurde<br />
nicht nur dem Schulleiter, sondern auch dem Bannführer mitgeteilt und führte zu<br />
Jugendgericht und sofortiger Verweisung 93 . Der kirchliche Einfluß wurde zurückge-<br />
90 Der Primus Omnium war nicht notwendigerweise der beste Schüler, sondern wurde auf Grund seiner<br />
charakterlichen Eignung auf Vorschlag der Schülervertretung vom Rektor bestimmt.<br />
91 Brief B. v. Negenborn, 26. 1. 1941.<br />
92 Mündl. Mitteilung des damaligen stellvertretenden P. O. v. Thüngen, 1987.<br />
93 Brief B. v. Negenborn, 22. 4. 1942. Ein damaliger Lehrer berichtet, daß während der Vernehmungen<br />
der P. O. auf die angestrebte Abschaffung der Morgenandachten angesprochen wurde und entgegnete:<br />
„Solange Sie uns nichts Besseres anzubieten haben, bleiben wir in Roßleben bei den Morgenandachten."<br />
(Roßleber Nachrichten Nr. 135, Jan. 1985, S. 40).