Anhang - Institut für Zeitgeschichte
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Literatur 523<br />
also mit dem Ende der normalen Funktion parlamentarischer Mehrheiten) statt im<br />
Herbst 1929 (Tod Stresemanns und Ausscheiden Schuberts) anzusetzen. Die deutsch-polnischen<br />
Verhandlungen vom Winter 1929/1930 waren meiner Ansicht nach das Ergebnis der<br />
jahrelangen Bemühungen des deutschen Botschafters in Warschau, Rauscher. Ich denke, Rauschers<br />
Werk war persönlich geprägt und kann somit nicht dem Gesamtkomplex der Politik<br />
der „Westorientierung" der Jahre 1924-1929 einverleibt werden. Es ist nicht dazu geeignet,<br />
dieser Politik eine globale Bedeutung zu geben; mir erscheint es eher gerechtfertigt, die Zäsur<br />
im Herbst 1929 als im Frühjahr 1930 anzusetzen.<br />
Hier stellt sich die Frage nach der Rolle von Curtius, der im Buch von Krüger fast erdrückt<br />
wird zwischen Stresemann, der im besten und Brüning, der im schlechtesten Licht erscheint.<br />
Curtius verdient mehr Beachtung. Bevor er Außenminister wurde, war er Reichswirtschaftsminister.<br />
Er stand von Oktober 1929 bis Oktober 1931 an der Spitze des Auswärtigen Amts.<br />
Über Brüning darf man Curtius sowie das Gewicht der Geschäftskreise und der mit Wirtschaftsfragen<br />
befaßten Büros des Ministers nicht vergessen, die auf eine Einflußpolitik in Zentral-<br />
und Südosteuropa drängten (Zollunion mit Österreich und Präferenzverträge mit mehreren<br />
Ländern des Donauraums).<br />
Jenseits der Bedeutung von Curtius und Brüning <strong>für</strong> die Definition der deutschen Außenpolitik<br />
nach dem Tod Stresemanns stellt das Buch Krügers die Frage nach der Legitimität der<br />
„Präsidialkabinette" der Jahre 1930-1932 im Weimarer Verständnis. Die enge Verbindung, die<br />
der Autor zwischen der Außenpolitik und der Innenpolitik, genauer gesagt: der parlamentarischen<br />
Politik, in der Ära Stresemann zu erkennen glaubt, läßt ihn die Jahre 1930 bis 1932 aus<br />
der „wirklichen" Weimarer Republik ausklammern. Diese Interpretation erscheint mir strittig<br />
und nicht ungefährlich: Deutschland hat bis 1933 politisch in strikter Respektierung der Weimarer<br />
Verfassung gelebt, den 30. Januar miteinbegriffen. Die Republik von Weimar von den<br />
Jahren 1930 bis 1932 abtrennen zu wollen, hieße letztlich, ein falsches Bild von dieser Republik<br />
zu zeichnen. Die politischen Kräfte, die in den Jahren zwischen 1924 und 1929 dominierten,<br />
verliehen der Weimarer Republik zugestandenermaßen das Bild, das von ihr geblieben ist,<br />
doch waren auch andere Kräfte am Werk, die sich am stärksten in den Jahren 1919-1923 und<br />
1930-1932 manifestierten. Von ihnen kann bei der Analyse der Jahre 1924 bis 1929 nicht völlig<br />
abstrahiert werden.<br />
Diese Vorbehalte sollen keinen falschen Eindruck von der Meinung des Rezensenten über<br />
das Buch von Peter Krüger aufkommen lassen: Es ist ein außergewöhnlich gutes Buch. Neben<br />
dem Umfang der benutzten Quellen und der Genauigkeit ihrer Kenntnis besticht die Originalität<br />
der Interpretation. Diese reizt zur Diskussion und ist damit bereichernd. Das Buch setzte<br />
eine neue Debatte über das internationale Leben in den zwanziger Jahren und über die Weimarer<br />
Republik in Gang. Dem Autor sei da<strong>für</strong> gedankt.<br />
Einen neuen Impuls bekam diese Debatte mit dem Erscheinen der Habilitationsarbeit Franz<br />
Knippings 23 . Man kann das letzte Kapitel des Buchs von Peter Krüger künftig nicht lesen,<br />
ohne auch das Buch von Franz Knipping zu konsultieren. Knipping sieht die Zäsur in der Verständigungspolitik<br />
noch früher, im Sommer 1928, mit dem Ausbruch der Widersprüche zwischen<br />
der französischen (und damit verbunden der englischen) Interpretation einerseits und<br />
der deutschen Interpretation der Nachwirkungen von Locarno andererseits: Räumung, Reparationen,<br />
Abrüstung. Es seien auch die Zusammenstöße zwischen Deutschland und Polen im<br />
Völkerbund in den Jahren 1927 und 1928 erwähnt, die Frankreich nicht gleichgültig sein<br />
23 Franz Knipping, Deutschland, Frankreich und das Ende der Locarno-Ära 1928-1931, München<br />
1987. Franz Knipping hat übrigens die französischen Archive ausgewertet, zudem macht Knippings<br />
ausgezeichnete Kenntnis der französischen Publikationen (man vgl. die Bibliographien von Peter<br />
Krüger und die von Franz Knipping) sein Buch zu einer unverzichtbaren Ergänzung bei der Lektüre<br />
des Buchs von Krüger.