Anhang - Institut für Zeitgeschichte
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Der Griff des NS-Regimes nach Elite-Schulen 451<br />
Ordenscharakter der Klöster gesucht worden, was aber nicht ganz überzeugt, denn<br />
sie zeigen Ansätze zu demokratischen Lebensformen, die nicht im kirchlich-religiösen,<br />
sondern im gesellschaftlichen Bereich angesiedelt sind. Das ist kaum je von der<br />
großen Reihe führender Persönlichkeiten, die aus den Schulen hervorgingen 125 ,<br />
politisch reflektiert worden, eine der Paradoxien der deutschen Sozialgeschichte.<br />
Mit dieser Verfassung war der nationalsozialistische Gefolgschaftsgedanke<br />
grundsätzlich unvereinbar, obschon sie zunächst gewisse Alibifunktionen erfüllen<br />
konnte. Sie war nicht an einer Ideologie ausgerichtet, sondern an einem rationalen<br />
Ordnungsprinzip. Disziplin und Gehorsam waren an Maßstäbe gebunden, die <strong>für</strong><br />
jeden durchschaubar waren und sich nicht an einer über allen Zweifel erhabenen<br />
charismatischen Führerpersönlichkeit orientierten. Die Toleranzgrenzen waren flexibel<br />
und mußten immer wieder neu vereinbart werden, Mißbräuche, die sich<br />
ebenso in Anarchie wie Despotie äußerten, konnten nur durch die Mitwirkung aller<br />
abgestellt werden. Der Ausleseprozeß war dabei nur eine begrenzte Hilfe, da er von<br />
zu vielen Faktoren, u. a. auch der Wirtschaftlichkeit, abhing. Dagegen hatte der<br />
Rekrutierungsprozeß der Erzieher eine wichtige stabilisierende Funktion. Sie mußten<br />
mit den systemimmanenten Gesetzen vertraut sein und sie anerkennen, eine<br />
Voraussetzung, die durch die Möglichkeiten der Selbstrekrutierung gegeben war<br />
und deren Wegfall nach 1945 einen Neuanfang weitgehend ausschloß.<br />
Unter diesen Voraussetzungen konnten sich Verhaltensformen entwickeln, die<br />
Martin Broszat unter dem Begriff der „Resistenz" zusammengefaßt hat. Sie wurden<br />
als Teil einer neuen Tradition weitergegeben, die erst die Kriegsbedingungen ernstlich<br />
in Frage stellten.<br />
Das evangelische Widerstandspotential in den Schulen war dagegen eher diffus<br />
und schwankend. Die Kirche hatte nicht immer eine glückliche Hand in der Auswahl<br />
der Schulpfarrer bewiesen. Wieviel erreicht werden konnte, wenn der Geistliche<br />
seinem Amt in jeder Beziehung gewachsen war, zeigt der Fall des afranischen<br />
Pfarrers Muntschick, wie überhaupt die evangelische Tradition von St. Afra, wo bis<br />
1942 Theologen amtierten, eine verhältnismäßig intakte Kontinuität aufwies, während<br />
sie an den anderen Schulen eher ein Schattendasein führte. Die Rückbesinnung<br />
setzte erst ein, als die Nationalsozialisten ihr Bemühen verstärkten, religiöse Erziehungsformen<br />
auch auf evangelischer Seite auszuschalten.<br />
Ein Elitenbewußtsein wurde von den heute noch lebenden ehemaligen Schülern<br />
nur vereinzelt bestätigt. Es dürfte individuell stark geschwankt haben, entsprechend<br />
dem persönlichen Reifegrad und dem Vorbild im Elternhaus. Die preußisch-spar-<br />
125 Eine Auswertung der - allerdings unvollständigen - Schülermatrikeln bis in die Gegenwart unter<br />
dem Gesichtspunkt hervorragender beruflicher Tätigkeit haben bisher nur die Joachimsthaler vorgelegt.<br />
AMJ 1957. Für Schulpforta gibt es mehrere ältere Untersuchungen über einzelne Zeitabschnitte.<br />
Die letzte erschien 1943 als Auswahl von Monographien (Schulpforta und das deutsche<br />
Geistesleben, hrsg. v. H. Gehrig, Darmstadt 1943). Für St. Afra hatten die Altafraner eine Neuauflage<br />
und Fortsetzung der Schülermatrikeln mit 10 000 Lebensläufen zum Jubiläum 1943 fertiggestellt,<br />
die aber auf Grund der Zeitumstände nicht gedruckt werden konnte und bei der Zerstörung<br />
Dresdens 1945 zum großen Teil verlorenging.