Anhang - Institut für Zeitgeschichte
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542 Henry A. Turner<br />
Dokumenten im Potsdamer Zentralarchiv (die Kritiker der Erstfassung konnten diese Quellen<br />
nicht unter die Lupe nehmen, weil sie keinen Zugang zu ihnen hatten) keiner Überprüfung<br />
unterzogen hat. Die nicht wenigen Passagen der Neuausgabe, die sich sehr stark auf diese<br />
Bestände stützen (dazu gehört das gesamte zweite Kapitel), sind ungeprüft geblieben. Im<br />
Lichte der Arbeitsweise des Autors in den übrigen Teilen der Erstfassung seines Buches ist<br />
diese Tatsache nicht gerade dazu angetan, Vertrauen beim Leser zu wecken.<br />
Nun, da der Autor unter Anleitung seiner Kritiker also endlich eine Version seines Buches<br />
vorgelegt hat, die im Gegensatz zur ersten Ausgabe wenigstens von den gröbsten Verstößen<br />
gegen wissenschaftliche Standards frei ist, kann man seine Interpretation prüfen und sich<br />
damit befassen, welchen Beitrag er wohl zum Verständnis des Kapitels deutscher Geschichte<br />
leistet, mit dem er sich beschäftigt. Vieles in dem Buch wird informierten deutschen Lesern<br />
bekannt vorkommen, da sie - anders als viele in den USA - sofort erkennen werden, daß es<br />
sich bei dem Gebotenen nur um eine der vielen Publikationen handelt, die sich auf die Monopolgruppentheorien<br />
stützen, die in marxistischen Kreisen seit den zwanziger Jahren en vogue<br />
sind und die in der DDR nach wie vor die Interpretation der Zwischenkriegszeit bestimmen.<br />
Nach diesem Theoriegebäude determinierten die Kollisionen der ökonomischen Interessen<br />
einzelner Branchen die Entwicklung im politischen Überbau. Nach Abraham setzte sich die<br />
Gesellschaft der Weimarer Republik aus acht agrarischen wie städtischen, dominierenden wie<br />
dominanten Klassen zusammen: Gutsbesitzer, landwirtschaftliche Familienbetriebe, Landarbeiter,<br />
Schwerindustrie, Exportindustrie, Kleinbürgertum, Angestellte, Proletariat. Um ihren<br />
Interessen Geltung zu verschaffen, gingen verschiedene von ihnen zu unterschiedlichen Zeitpunkten<br />
Bündnisse ein, die dann die Politik der Regierung bestimmten. „The historical ruling<br />
bloc" des Kaiserreiches habe aus einer Allianz von Gutsbesitzern und Bauern mit der Schwerindustrie<br />
bestanden. In ihrer Phase der Stabilisierung, 1925-1930, sei die Politik der Weimarer<br />
Republik nach Abraham von einem „compromise bloc" bestimmt worden, bestehend aus der<br />
Exportindustrie, den Angestellten, der Industriearbeiterschaft und den Landarbeitern. Als es<br />
sich während der Weltwirtschaftskrise als unmöglich herausgestellt habe, einen anderen<br />
„dominant bloc" zu formieren, der der Regierung die notwendige Machtbasis hätte geben<br />
können, hätten die Schlüsselkräfte des „historic ruling bloc" - angeführt von der Schwerindustrie<br />
und den Großgrundbesitzern - es den Nationalsozialisten 1933 gestattet, die Macht zu<br />
übernehmen.<br />
Abrahams Buch weist die fundamentalen Schwächen auf, von denen alle Monopolgruppentheorien<br />
gekennzeichnet sind. Zunächst einmal ist die Studie unerhört reduktionistisch. Die<br />
politischen Geschicke Deutschlands werden von Abraham vorgeführt als bloßes Produkt eines<br />
Wechsels gewisser Brancheninteressen, bei dem in seinem Fall ausgerechnet die Banken, „das<br />
Finanzkapital", gar nicht vorkommen, die in ähnlichen Interpretationen normalerweise an<br />
prominenter Stelle figurieren. Die politischen Parteien einschließlich der NSDAP werden zu<br />
einem Epiphänomen reduziert. Überhaupt keine Rolle wird den Kräften zugeschrieben, die<br />
von anderen Historikern immerhin als einflußreich beschrieben worden sind, nämlich dem<br />
Militär, dem Berufsbeamtentum, den Kirchen, den freien Berufen, der Presse, den nichtökonomischen<br />
Verbänden und Vereinen, den Universitäten und den Intellektuellen. Die Bürger,<br />
sogar die Wähler unter ihnen, kommen nur als periphere Objekte ungeheurer anonymer<br />
Kräfte vor, die auf der Ebene der ökonomischen Basis agieren. Wie andere Vertreter der<br />
Monopolgruppentheorie hat auch Abraham <strong>für</strong> bestimmte politische Entwicklungen keine<br />
Erklärung, was daran liegt, daß diese sich mit der von Fall zu Fall neu und anders sich stellenden,<br />
ebenso diffizilen wie skrupulös und minutiös zu klärenden Frage nach dem Verhältnis<br />
von Ursache und Wirkung nicht aufhalten. Der Autor bietet statt dessen lediglich das an, was<br />
er als übergreifende, nur lose mit den politischen Ereignissen und Entwicklungen korrelierende<br />
Ursachen beschreibt, und macht sich lustig über das, was er abtut als Fragen von dem<br />
Kaliber „wer sprach wann mit wem und was passierte dann". Das führt zu einem Zirkelschluß,<br />
wenn nämlich die Ablösung der Weimarer Republik durch das Dritte Reich - also genau das