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Anhang - Institut für Zeitgeschichte

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Der Griff des NS-Regimes nach Elite-Schulen 421<br />

schiedenen Etappen, in denen Schulträger, Schulleitung und Schulaufsicht, Eltern,<br />

Lehrer und Schülerschaft eine Rolle spielten. Einen wichtigen Rückhalt bildeten die<br />

bereits erwähnten Altschülerverbände, die als lose private Vereinigungen lange Zeit<br />

verhältnismäßig unbelästigt blieben. Ihre tatsächliche Machtlosigkeit wurde ihnen<br />

allerdings gleich nach der Machtergreifung sehr deutlich vor Augen geführt, als die<br />

Nationalsozialisten die Übernahme der größten und berühmtesten der Schulen,<br />

Schulpforta, ins Auge faßten. Dabei kam den Machthabern die 1926 durchgesetzte<br />

Reform des Erziehungssystems zu Hilfe. Der Rektor, der angesehene Altphilologe<br />

Prof. Dr. Walther Kranz 42 , 1928 auf Empfehlung seines Lehrers, v. Wilamowitz, in<br />

sein Amt berufen, wurde das Opfer einer böswilligen Hetzkampagne, die in der<br />

Schule selbst ihren Ursprung hatte.<br />

Im gleichen Jahr wie Kranz war ein junger Studienassessor als Lehrer und Erzieher<br />

an die Schule gekommen, der deutsch-völkische, antisemitische Überzeugungen<br />

vertrat. Kranz war mit einer zum Christentum übergetretenen Jüdin verheiratet und<br />

<strong>für</strong> den jungen Lehrer „ein Vertreter des westlichen, assimilierten Weltjudentums",<br />

dessen Berufung an eine evangelische Konfessionsschule er als eine Provokation<br />

empfand 43 . Mit der Lektüre des 1929 von Kurt Tucholsky herausgegebenen Bildbandes<br />

„Deutschland, Deutschland über alles", dieses „verruchtesten Schand- und<br />

Verbrecherbuches", wurden ihm „in furchtbarem Entsetzen die Augen geöffnet <strong>für</strong><br />

die Verschärfung der Judenfrage". Rektor Kranz scheint sich gegen die Intrigen des<br />

im übrigen als sehr befähigt geltenden Lehrers nicht rechtzeitig und energisch genug<br />

gewehrt zu haben, obwohl dessen homosexuelle Neigungen disziplinarische Maßnahmen<br />

gerechtfertigt hätten. 1933 erschien ein in Zusammenarbeit mit dem örtlichen<br />

Kreisleiter der NSDAP verfaßtes Flugblatt, das gegen den „Juden Kranz"<br />

gerichtet war. Der Rektor zog daraus die Konsequenzen und reichte unmittelbar<br />

nach dem 390-jährigen Stiftungsfest im Mai 1933 seinen Rücktritt ein, weil „gegen<br />

ihn Angriffe gerichtet worden seien, die eine fruchtbare Arbeit unmöglich zu<br />

machen schienen" 44 .<br />

Zu den drei Tage dauernden Feierlichkeiten waren Hunderte von Gästen erschienen<br />

45 , überwiegend alte Pförtner. In mehreren Reden wurden eindringliche<br />

Bekenntnisse zu der großen humanistischen Tradition der Schule und ihrer tiefen<br />

Verwurzelung im Christentum abgelegt. Dr. Kranz ließ mit keinem Wort erkennen,<br />

daß sein Festvortrag, in dem er einen Rückblick auf die Geschichte der Schule gab,<br />

auch seine Abschiedsrede war. Er schloß mit einem Ausblick auf die 1943 bevorste-<br />

42 Walther Kranz (1884-1960) war nach Beendigung seiner Tätigkeit in Schulpforta noch 2 Jahre an<br />

der Universität Halle als Hochschullehrer. Danach wurde er aus polit. Gründen in den Ruhestand<br />

versetzt und emigrierte 1943 mit seiner Frau nach Istanbul, wo er am 1. 1. 1944 ordentlicher Professor<br />

wurde. Von 1955-60 war er Honorarprofessor an der Phil. Fak. der Universität Bonn.<br />

43 Die Vorgänge wurden von dem betreffenden Lehrer, Dr. Vorbrodt, in Buchform 50 Jahre später veröffentlicht:<br />

Michael Deserti (Ps.), Zwischen Himmel und Erde, München 1984, Zitate S. 23, 62.<br />

44 Heyer, S. 157 (als Zitat angeführt).<br />

45 Pf. B., 7. Jg., H 3, Mai 1933, S. 56: „Am Mittag des Haupttages wurden rund 620, beim Kaffeetrin­<br />

ken im Schulgarten rund 1000 Menschen bewirtet."

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