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Anhang - Institut für Zeitgeschichte

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412 Marianne Doerfel<br />

gigkeit von wechselnden politischen Tagesentscheidungen, das als charakteristisch<br />

<strong>für</strong> die Parteiendemokratie empfunden wurde. In Schulpforta, Templin und Roßleben<br />

kam es zu Zusammenstößen mit örtlichen linken Kampfgruppen, dabei wurde<br />

in Schulpforta ein mit Patrouillendienst beauftragter Schüler getötet und die Reichswehr<br />

griff ein 18 . Über den Auseinandersetzungen um den Erhalt der wirtschaftlichen<br />

Substanz hing drohend das Damoklesschwert der Verstaatlichung und damit der<br />

Aufhebung des traditionellen Erziehungssystems. Berufsständisches Ressentiment<br />

gegenüber den als Ausgleich <strong>für</strong> ihre erzieherische Tätigkeit mit einem verringerten<br />

Stundendeputat angestellten Lehrern führte zum Appell an staatliche Behörden, die<br />

allgemein geltenden Regelungen <strong>für</strong> Gymnasiallehrer auch hier einzuführen; im<br />

Zuge des staatlich verordneten Beamtenabbaus sollten jüngere Assessoren und Referendare<br />

eingestellt und mit erzieherischen Aufgaben betreut werden. Besonders<br />

hiergegen richtete sich der Widerstand der mit der schulischen Tradition vertrauten<br />

und übereinstimmenden Lehrer und Eltern. Die Änderung betraf vor allem die beiden<br />

preußischen Gymnasien, Schulpforta und das Joachimsthalsche Gymnasium.<br />

In Templin hatte der <strong>für</strong> die Planung und Neueinrichtung 1908 berufene Rektor,<br />

August Nebe, ein Roßleber Schüler, schon 1912 eine vom preußischen Kultusministerium<br />

unterstützte Neuerung eingeführt, die als revolutionär galt und auf heftigen<br />

Widerstand bei den Schülern wie ablehnende Skepsis bei anderen Schulen gestoßen<br />

war. Um den immer wieder zu Klagen und Revisionen Anlaß gebenden rauhen Ton<br />

der großen Jungengemeinschaft in zivilisiertere Bahnen zu lenken, hatte Nebe das<br />

Familienalumnat nach dem Vorbild kleinerer Internatsschulen geschaffen. In drei<br />

Doppelhäusern wurden sechs Alumnate als selbständige Wohneinheiten <strong>für</strong> etwa 25<br />

Schüler aller Altersgruppen eingerichtet. Zu jedem Alumnat gehörte eine Hausdame.<br />

Damit war das jahrhundertealte Privileg der Männererziehung durchbrochen,<br />

eine mutige Konsequenz aus der seit langem geführten Diskussion über die<br />

Rolle des weiblichen Einflusses in der Jungenerziehung öffentlich dokumentiert.<br />

Grundsätzlich ging es nur darum, einen ständigen, ausgleichenden Einfluß im Alltag<br />

zu schaffen; die erzieherischen Funktionen von Lehrern und die selbstverantwortliche<br />

Mitarbeit der Primaner blieben davon unberührt, man wollte lediglich auf diese<br />

Weise der seit jeher latent vorhandenen Versuchung zum Machtmißbrauch 19 entgegentreten.<br />

18 Dr. Fritz Heyer, Aus der Geschichte der Landesschule zur Pforte, Darmstadt u. Leipzig o. J. (1943),<br />

S. 145. In Roßleben holte ein Schüler die auf der Schule aufgezogene rote Fahne herunter und<br />

mußte die Schule verlassen; in Templin hatte der Republikanische Jugendbund 1921 verlangt, daß<br />

das Wort „Königlich" aus der Überschrift am Schultor zu verschwinden habe, und das Provinzialschulkollegium<br />

machte der Schule eine entsprechende Auflage, die auch erfüllt wurde.<br />

19 In der positiven Beurteilung der Hausdamen stimmen alle Berichte überein; ein ehemaliger Schüler<br />

des Joachimsthalschen Gymnasiums, der 1927 als Erzieher an die Staatliche Bildungsanstalt Potsdam<br />

(Stabila) kam, bezeichnete das dortige System als „Druck und heimliche Rebellion, das sich an<br />

Formen der alten Kadettenanstalt anlehnte" (AMJ 1957, S. 27). Allerdings war die Verbesserung der<br />

inneren Atmosphäre in Templin ein allmählicher Prozeß, der sich über eine Reihe von Jahren hinzog<br />

und von dem mit Maß und Einsicht vorgehenden Rektor klug gelenkt wurde.

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