Anhang - Institut für Zeitgeschichte
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396 Francis R. Nicosia<br />
österreichische Juden zur Auswanderung - das waren erheblich mehr, als jemals das<br />
Altreich während eines ganzen Jahres verlassen hatten 113 . Nach der „Reichskristallnacht"<br />
und als Folge der anschließenden parteiinternen Streitigkeiten hinsichtlich<br />
der Effektivität der Pogrome wurden sämtliche Kompetenzen in der Auswanderungspolitik<br />
im Zuständigkeitsbereich Görings zentralisiert, der Reinhard Heydrich<br />
und den SD mit der Durchführung beauftragte 114 . Bereits im Januar 1939 errichtete<br />
Heydrich die Reichsstelle <strong>für</strong> die jüdische Auswanderung in Berlin, deren Aktivitäten<br />
mit Eichmanns Zentralstelle in Wien koordiniert wurden. Die Berliner Organisation<br />
wurde der Leitung von Gestapo-Chef Heinrich Müller unterstellt, der Eichmann<br />
im Februar nach Berlin zurückholte und die Wiener sowie die im März in<br />
Prag errichtete Zentralstelle zu Abteilungen der Reichsstelle machte 115 . Auf diese<br />
Weise hatte die SS bis Ende 1938 den bisher zuständigen Regierungsstellen die Kontrolle<br />
der Auswanderungspolitik vollständig entrissen. Bernhard Lösener vom<br />
Judenreferat des Innenministeriums schrieb dazu später; „Mein Referat im Reichsministerium<br />
des Innern wurde allmählich beiseite geschoben, nicht einmal die Höflichkeit<br />
einer Information oder Fühlungnahme wurde ihm mehr erwiesen." 116<br />
Die Debatte über Palästina war im wesentlichen beendet, auch wenn das Schicksal<br />
des Haavara-Abkommens noch immer unklar blieb. Die SS hatte den Zionismus<br />
in Deutschland und die jüdische Auswanderung nach Palästina kontinuierlich gefördert;<br />
aufgrund ihres Machtzuwachses kam die zionistische Option in der NS-<br />
Judenpolitik nunmehr und bis über den Kriegsausbruch hinaus noch stärker zum<br />
Tragen.<br />
Während sich die jüdische Auswanderung aus dem deutschen Machtbereich<br />
1938/39 beschleunigte, nahmen die Einwanderungsmöglichkeiten <strong>für</strong> deutsche und<br />
österreichische Juden in andere Länder als Palästina rapide ab. Aus der Sicht von<br />
Gestapo und SD wuchs Palästina deshalb um so größere Bedeutung als Ventil <strong>für</strong><br />
den Abfluß jüdischer Auswanderer zu 117 . Deshalb mußte versucht werden, den<br />
Schaden, den die zionistische Bewegung in Deutschland durch die Ausschreitungen<br />
vom 9. und 10. November 1938 genommen hatte, wenigstens zu begrenzen. Die<br />
ZVfD wurde wie alle anderen noch verbliebenen jüdischen Organisationen nach<br />
dem Pogrom aufgelöst. Das Berliner Palästinaamt der ZVfD, das bisher die auswanderungswilligen<br />
Juden betreut hatte, war in der Pogromnacht vollkommen zerstört<br />
worden. Sofort nachdem die SS die Auswanderungspolitik unter ihre Kontrolle<br />
gebracht hatte, wurden die Zionisten überall wieder in ihre Funktionen eingesetzt,<br />
113<br />
BA, R/58-1253, Zentralstelle <strong>für</strong> jüdische Auswanderung/Wien an II/112 vom 21. 10. 1938.<br />
114<br />
International Military Tribunal (IMT), Bd. 28, S. 499-530; PA/AA, Inland IIA/B, 83-24, Bd. 1,<br />
Chef der Sipo an AA vom 15.11.1938, Der Beauftragte <strong>für</strong> den Vierjahresplan an RMI 24.1.1939;<br />
NA, T-175/410, 2935034 Tätigkeitsbericht von II/112 vom 1.7.-31.12.1938.<br />
115<br />
BA, Sammlung Schumacher, 240/II, Chef der Sipo an AA, RMI, RMW, RMF vom 11. 2. 1939;<br />
Eichmann Trial, card 88 bzw. 104, 21.6. bzw. 10.7. 1961.<br />
116<br />
Bernhard Lösener, Als Rassereferent im Reichsministerium des Innern, in: VfZ 9 (1961), S. 288.<br />
117<br />
NA, T-175/411, 2936225, Die Organisation der Judenheit, ihre Verbindungen und politische<br />
Bedeutung, 23. 9. 1938.