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Anhang - Institut für Zeitgeschichte

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410 Marianne Doerfel<br />

blik blieb auch der konfessionelle Charakter der Schulen nicht unberührt. Morgenund<br />

Abendandachten, Tischgebet, sonntäglicher Gottesdienst in den hauseigenen<br />

Kapellen oder Kirchen, Andachten an religiösen oder nationalen Feiertagen waren<br />

bis dahin Selbstverständlichkeiten, in St. Afra und St. Augustin waren die Rektoren<br />

bis Mitte der dreißiger Jahre Theologen, und alle Schulen hatten bis auf die Ritterakademien<br />

eigene Geistliche (teilweise mit gemeindlichen Aufgaben). Alle Stiftungsfeste<br />

wurden mit feierlichen Gottesdiensten begangen - manchmal im Freien -, und<br />

jährlich wurde eine Anzahl von Schülern nach vorangegangenem Konfirmandenunterricht<br />

konfirmiert 16 . Eine besondere, weit zurückreichende Sitte war die<br />

„Ecce"-Feier, eine Toten-Vigilie am Sonnabend vor Totensonntag mit Feier des<br />

Abendmahls, an den Stiftungsschulen. Ihre feierlich-ernste Form erinnerte an die<br />

alten Mönchsrituale: die Namen der im vorangehenden Jahr Verstorbenen, Schüler,<br />

Lehrer und andere Angehörige der Schulgemeinschaft, wurden mit einer kurzen<br />

Würdigung ihres Lebenslaufs verlesen und ihnen vom Geistlichen „Havete animae<br />

piae" nachgerufen, das die Anwesenden leise wiederholten. Der Schulchor sang das,<br />

vermutlich auf gregorianischen Gesang zurückgehende, „Ecce, quomodo moritur<br />

justus" 17 . Diese Feier begingen seit Beginn des Jahrhunderts auch einige Ortsgruppen<br />

der ehemaligen Schüler als eigene Veranstaltung. Sie wurde in St. Afra noch<br />

während der NS-Zeit fortgesetzt und stieß bei den Nationalsozialisten auf heftige<br />

Kritik, da sie sich jeder Möglichkeit der Integration in die NS-Ideologie entzog.<br />

In Schulpforta, wo die sakrale Musik traditionell besonders gepflegt wurde,<br />

erklang bis 1935 vor dem Essen das von dem ganzen Coetus gesungene „Gloria tibi<br />

trinitatis, aequalis una deitas, et ante omne saeculum et nunc et in perpetuum"; insgesamt<br />

bildeten auswendig gesungene Kirchenlieder einen festen Bestandteil der<br />

religiösen Überlieferung, der von HJ-Liedern nicht verdrängt werden konnte. Wieweit<br />

dabei innere Beteiligung oder musikalisches Feinempfinden eine Rolle spielten,<br />

muß dahingestellt bleiben, auch die Prägung durch das Elternhaus dürfte unterschiedlich<br />

gewesen sein. Für die Mehrheit der Lehrer wurde die konfessionelle Ausrichtung<br />

der Schule zunächst in der Weimarer Republik, dann aber, in sehr viel<br />

schärferer Form, durch die aggressive Kirchenpolitik der Nationalsozialisten zur<br />

Frage der persönlichen, inneren und äußeren, Stellungnahme. Ihr Christentum war<br />

bis dahin eher Teil einer konservativen Staatsgesinnung gewesen, die nach 1918 von<br />

Regierungen mit sozialistischer Mehrheit politisch herausgefordert wurde; eine<br />

Rückbesinnung auf den lutherischen Ursprung orientierte sich daher zunächst stärker<br />

an der Abwehr staatlicher Eingriffe in historisch legitimierte Formen der Erziehung.<br />

Das Gesamtbild ist aber gerade in diesem Punkt diffus; einzelne Berichte sind<br />

16 Die letzte Konfirmation fand in St. Afra am 18. 3. 1945 im Dom statt. Heimlehrer nahmen nicht<br />

daran teil, ein dem alten Lehrerkollegium angehörender Lehrer führte die 12 Konfirmanden traditionsgemäß<br />

aus der Sakristei zum Altar. Dr. Siegfried Lorenz, St. Afra 1942-1950, Manuskr. (vgl.<br />

Anm. 80).<br />

17 „Siehe, so stirbt dahin der Gerechte und niemand nimmt sich's zu Herzen." Erste Zeile einer altkirchlichen<br />

Sequenz, gesungen nach einer Vertonung aus dem 16. Jhdt.

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