Anhang - Institut für Zeitgeschichte
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540 Henry A. Turner<br />
willigen" Leistungen <strong>für</strong> die „Kampfeinsätze" aufzufordern. Die Nationalsozialisten machten<br />
sogar noch Geld aus ihren Propagandamaterialien. Sie verkauften ihre Flugblätter und Pamphlete,<br />
die sie im übrigen selbst von ihren übergeordneten Parteistellen zu kaufen gehabt hatten.<br />
Auf vielfältigste Weise mobilisierten die der örtlichen Mittelklasse zugehörigen NSDAP-<br />
Führer ihren Geschäftssinn, um Genossen und Sympathisanten Geld aus der Tasche zu ziehen.<br />
Nach Aliens Urteil waren diese mehr oder weniger kontinuierlich sprudelnden Quellen aber<br />
nur Rinnsale gegenüber dem Geldstrom, der bei den zahlreichen in Northeim abgehaltenen<br />
Massenveranstaltungen in die Kassen floß. Bei jedem dieser sorgfältig vorbereiteten und<br />
durchgeführten Großereignisse wurden Eintrittsgelder erhoben, gewöhnlich 1 RM pro Person<br />
- keine Kleinigkeit in den Jahren der Weltwirtschaftskrise. Während der Kundgebungen<br />
wurde natürlich wieder gesammelt. Nach Abzug des Honorars <strong>für</strong> den eingeladenen Redner<br />
und Abführung der Saalmiete blieb der Ortsgruppe bei großen Veranstaltungen immer noch<br />
ein beträchtlicher Profit. Deshalb wurde auch jeder denkbare Versuch unternommen, eine<br />
immer größere Zuhörerschaft anzulocken. Durch einiges Herumexperimentieren fanden die<br />
lokalen NS-Funktionäre bald heraus, welche Themen die Säle am besten füllten. Sie achteten<br />
dann darauf, daß die zündendsten Themen in den folgenden Kundgebungen wiederkehrten;<br />
Themen, die nicht genügend Leute anlockten, wurden aus dem Repertoire genommen. Das<br />
brachte ein - wie Allen es in seinem überarbeiteten Buch nennt - „feedback system", ein sich<br />
selbst verstärkendes Instrument, hervor, mit dem sich die Einstellung der Bevölkerung gut<br />
taxieren und zugleich die Anpassung der Haltung der Partei an diese Einstellungen gut<br />
bewerkstelligen ließ. Weil die Northeimer Nationalsozialisten also ihre Aktionen und Unternehmungen<br />
selbst finanzieren mußten, entwickelten sie diese Art von „Meinungsforschung",<br />
die ihnen gegenüber den alten und altmodischen Parteien, mit denen sie zu konkurrieren hatten,<br />
einen enormen Vorsprung verschaffte.<br />
In seiner Neuausgabe zieht Allen dieses Rückkopplungssystem zur Erklärung des abnehmenden<br />
Enthusiasmus der Northeimer <strong>für</strong> den Nationalsozialismus nach 1933 heran, ein Phänomen,<br />
auf das er bereits in der Erstausgabe verwiesen hatte. Dieses „feedback system", so<br />
betont er, konnte nur so lange funktionieren, wie die NSDAP auf den freien politischen<br />
Markt gehen mußte, wo die Teilnahme an Kundgebungen aus freiem Entschluß erfolgte. Als<br />
die Nationalsozialisten, nach Errichtung ihrer Diktatur, die Northeimer zwingen konnten,<br />
ihre Kundgebungen zu besuchen, bekamen sie die Informationen über die öffentliche Meinung,<br />
die ihnen zuvor das „feedback System" geliefert hatte, nicht mehr. Das Resultat war,<br />
daß die Partei den Draht zur Einwohnerschaft verlor, die zwar weiterhin Loyalitätsbekundungen<br />
abgab, jedoch mit allmählich abnehmender innerer Überzeugung.<br />
Die Veröffentlichung der Neuausgabe von William Sheridan Aliens ,The Nazi Seizure of<br />
Power' markiert das Wiedererscheinen eines wesentlich erweiterten und sogar noch verbesserten<br />
Buches, das längst zum Klassiker geworden ist. Das Werk hätte eine weitere Verbreitung<br />
in Deutschland unbedingt verdient; doch das könnte nur durch eine revidierte Neuausgabe<br />
auch in deutscher Sprache erreicht werden.<br />
Ganz andere Hintergründe hat die Veröffentlichung der zweiten Auflage von David Abrahams<br />
>The Collapse of the Weimar Republik im Jahr 1986. Ursprünglich eine von der University<br />
of Chicago angenommene Dissertation, erschien das Buch zuerst 1981 bei Princeton University<br />
Press, gerade zu der Zeit, als der Autor am Princeton History Department lehrte. Die<br />
ersten Reaktionen auf die Studie in den USA und in Großbritannien waren überaus positiv.<br />
Historiker und Sozialwissenschaftler priesen das Werk als einen bedeutsamen Durchbruch, als<br />
ein Werk, das wichtige neue Erkenntnisse über das Scheitern der Weimarer Republik und den<br />
Aufstieg Hitlers vermittle. Doch bald begannen Kritiker, die mit den in Abrahams Buch zitierten<br />
Quellen vertraut waren, die Beifallsstürme zu dämpfen. Die Kritiker des Werkes machten