Anhang - Institut für Zeitgeschichte
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Literatur 527<br />
mission und den Antisemitismus als Vorurteil versucht der Autor schließlich seine eigene Auffassung<br />
zu reflektieren. Man solle den Juden begegnen, aber sie nicht missionieren, sagt er.<br />
Was den Antisemitismus angeht, so scheint Gerlach allerdings ein Mißgriff zu unterlaufen.<br />
Zwar kann man ihm zustimmen, daß Anti- wie Philosemitismus gleichermaßen falsche Haltungen<br />
seien, weil sie den Anspruch erheben zu wissen, wer der andere sei. Doch Antisemitismus<br />
ist kaum als bloßes Vorurteil zu verstehen: Er ist, wie Gerlach selbst so einleuchtend<br />
gezeigt hat, eine tiefgehende geschichtliche Erscheinung, die sich in kulturellen und insbesondere<br />
religiösen Prozessen und Entwicklungen fortpflanzt.<br />
Gerlachs Buch füllt eine große Lücke. Ein Mythos wird zerstört, nämlich der Mythos vom<br />
heroischen Widerstand der Bekennenden Kirche gegen die Verbrechen Hitlers und seiner<br />
Mordgesellen. Die Tatsache, daß Wolfgang Gerlach ein gläubiger Christ ist, verleiht seiner<br />
Forschung auch moralische Autorität.<br />
Die „Euthanasie" ist in der Fachliteratur schon ziemlich eingehend behandelt. Der vorliegende,<br />
von Götz Aly herausgegebene Sammelband >Aktion T4, 1939-1945. Die „Euthanasie"-Zentrale<br />
in der Tiergartenstraße 4< stellt einen nützlichen zusätzlichen Beitrag dar,<br />
obwohl er zum großen Teil aus Aufsätzen besteht, die bereits anderweitig erschienen sind.<br />
Einige der Beiträge sind jedoch neu und wichtig. Dem Buch liegt eine These zugrunde, die<br />
vielleicht am klarsten von Henry Friedlander formuliert wird. In seinem Artikel „Jüdische<br />
Anstaltspatienten im NS-Deutschland" (S. 38) sagt er: „Die hier vorgetragene These über die<br />
Ursprünge des Holocaust sieht die entscheidende Ursache in dem Bestreben, eine radikale<br />
Form von Sozialplanung durchzusetzen. Insofern legt sie das Hauptgewicht nicht auf die<br />
Rolle des Antisemitismus, was allerdings nicht heißen soll, daß sich nicht weite Teile der deutschen<br />
Bevölkerung in ihrer Abneigung gegen die Juden einig waren." Die Gedanken Friedlanders<br />
über den Holocaust scheinen auch dem Buch über die „Euthanasie" zugrunde zu liegen.<br />
Auf eine allgemeine Beschreibung der „Aktion T4" folgt eine kurze Erzählung, die möglicherweise<br />
frei erfunden ist, danach Pastor Paul G. Braunes Denkschrift <strong>für</strong> Hitler vom<br />
9. Juli 1940. Dieses überaus wertvolle Dokument bildet in gewisser Weise eine Verbindung der<br />
beiden hier rezensierten Bücher, ist doch der außerordentlich mutige Schritt Braunes, der dem<br />
Diktator die Tatsachen und die verheerenden Folgen der „Aktion" im Klartext darstellte, eine<br />
jener Ausnahmen, mit denen sich auch Gerlachs Ausführungen über die Judenverfolgung<br />
befassen. Allerdings ist es eine Tatsache, daß im Bewußtsein der Deutschen damals „T4" und<br />
Judenverfolgung wenig gemein hatten.<br />
Aber eben dieses Gemeinsame wird in Henry Friedlanders Beitrag und auch in der Einleitung<br />
hervorgehoben: einerseits die Tatsache, daß jüdische Anstaltspatienten und dann auch<br />
jüdische Konzentrationslagerhäftlinge mitgemordet wurden, andererseits, daß die Erfahrungen,<br />
die die Nazis bei „T4" gesammelt hatten, im Mord an den Juden genutzt wurden; das<br />
begriff auch den „Einsatz" der Mörder, die bei „T4" Deutsche umgebracht hatten, bei dem<br />
Mord an den Juden mit ein. Auch in den polnischen Gebieten wurden geistig kranke Polen<br />
ermordet, was Anna Kilikowska in ihrem Beitrag über das psychiatrische Krankenhaus in<br />
Gostynin belegt. Nach einer Dokumentation über die Krankenmorde, die das Bürokratische<br />
des Geschehens, besonders auch die Funktion der sogenannten „Sprachregelungen" illustriert,<br />
folgt in dem Sammelband ein Auszug aus einem schon veröffentlichten Artikel Kurt Nowaks<br />
über Sterilisation, Krankenmord und Innere Mission. Nowak zeigt, daß im deutschen Protestantismus<br />
schon vor Hitler Gedankengänge verbreitet waren, die wenigstens teilweise der<br />
nazistischen „negativen Eugenik" Vorschub leisteten. Besonders der protestantische Sachverständige<br />
Hans Harmsen spielte hierbei eine gefährliche Rolle. Jedenfalls war die gesamte<br />
Evangelische Kirche nationalsozialistisch beeinflußt, nicht etwa nur die Deutschen Christen.<br />
Auch die Opposition war hier durchaus nicht einig. Wurm und eine kleine Gruppe von Pasto-