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Anhang - Institut für Zeitgeschichte

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534 Anthony f. Nicholls<br />

digkeit, die Novemberrevolution sei ein „Dolchstoß" in den Rücken der Armee gewesen. Der<br />

revolutionäre Mythos, wie er dem französischen Republikanertum Glanz verlieh, fehlte in<br />

Deutschland; die Novemberrevolution wurde als eine Verlegenheit angesehen, die unter den<br />

Teppich gekehrt werden müsse - und Ebert tat nichts, um diesen Eindruck zu korrigieren.<br />

Auf der anderen Seite waren die Führer der deutschen Arbeiter nicht fähig, ihre Gefolgschaft<br />

auf die vorbehaltlose Verteidigung einer parlamentarischen Demokratie einzuschwören,<br />

in der in Koalitionen mit anderen und „bourgeoisen" Parteien regiert werden mußte. Bis zu<br />

einem gewissen Grade war das in der Tat das Resultat einer eigenständigen Arbeiterkultur, die<br />

im Vorkriegsdeutschland geschaffen worden war und zu der die Sozialdemokratische Partei<br />

ebenso gehörte wie die freien Gewerkschaften und wie sozialistische Jugendgruppen, Frauenorganisationen,<br />

Freizeitklubs, Zeitungen und Verlage. Für militante Sozialdemokraten war es<br />

eine ausgemachte Sache, daß sie sich in einem Klassenkrieg befanden, und selbst die Mehrheitssozialisten<br />

übernahmen die Rhetorik des Klassenkonflikts. Sollte die SPD eine Staatspartei<br />

werden, die das parlamentarische System der Republik mittrug, hatte sie die Notwendigkeit<br />

von Kompromissen und sogar von Zusammenarbeit mit denjenigen anzuerkennen, die<br />

theoretisch Klassenfeinde waren. Es wurden denn auch Versuche in diese Richtung gemacht,<br />

und Winkler beschreibt mit Sympathie die 1921 auf dem Görlitzer Parteitag unternommenen<br />

Bemühungen um mehr Pragmatismus und Vernunft. Auch bei diesem bewundernswerten<br />

Unterfangen stand Bernstein in vorderster Linie.<br />

Die Bitterkeit, die der Kapp-Putsch und die Unterdrückung von Arbeitermilizen durch die<br />

Reichswehr hinterließen, bedeutete aber unglücklicherweise, zusammen mit dem Druck der<br />

Konkurrenz radikaler Elemente in der KPD, daß sich ein konsequenter „Revisionismus" als<br />

unmöglich erwies. Die Chance zur Wiedervereinigung der Mehrheitssozialdemokraten mit<br />

dem Rumpf der USPD, nachdem diese konfuse und schlecht geführte Partei 1920 auseinandergefallen<br />

war, veranlaßte dann die SPD selbst zu einem Rückfall in marxistische Rhetorik.<br />

Wenn die SPD den Klassenkampf verwarf, konnte sie Führer der Unabhängigen wie Breitscheid<br />

und Crispien abstoßen und das fast heilige Ziel der „proletarischen Einheit" gefährden.<br />

Der Wiedereintritt eines großen Teils der USPD in die SPD brachte den intransigent radikalen<br />

Elementen in der Partei - von Winkler auf etwa ein Drittel der Mitgliederschaft geschätzt<br />

- eine erhebliche Verstärkung. Die Wirkung machte sich rasch fühlbar, als im Herbst 1922 die<br />

von Wirth geführte Koalition - die nach der Ermordung Rathenaus das Republikschutzgesetz<br />

durchgesetzt hatte - auseinanderbrach und die SPD in Opposition ging. Dies ließ Cuno freies<br />

Feld, einem parteilosen und in mancher Hinsicht antiparlamentarischen Kanzler. Viele auf der<br />

nationalistischen Rechten hofften, daß er dem verhaßten demokratischen Experiment ein<br />

Ende bereiten werde. Zwar ist die SPD, als die Republik im August 1923 ihre Stunde der Not<br />

erlebte, zur Stelle gewesen, indem sich sich bereit fand, unter Stresemann zu dienen, aber die<br />

Abneigung gegen eine solche Kollaboration war nie weit unter der Oberfläche. Im Oktober<br />

1923 schrieb Friedrich Seger, daß es <strong>für</strong> die SPD besser wäre, Stresemanns Koalitionsregierung<br />

zu verlassen, selbst wenn damit riskiert werde, „daß es danach wohl zu einer ,parlamentslosen<br />

Zeit à la Mussolini' kommen werde . . . ,Aber die Sozialdemokratie wird dann<br />

vor den Massen wenigstens nicht mit dem Vorwurf belastet sein, bis zuletzt die Vorbereitungen<br />

der Reaktion mit ihrem Namen gedeckt und durch die Mitregierung legalisiert zu haben,<br />

sie wird mit reinem Schild und mit ungleich größerem Vertrauen den Kampf aufnehmen können'"<br />

(Bd. 1, S.698).<br />

Als sich 1925, auf dem Heidelberger Parteitag, die Gelegenheit bot, das Programm der<br />

SPD zu revidieren, überließ man die Aufgabe weitgehend Hilferding, einem früheren Unabhängigen,<br />

der die fundamentalistischen Attitüden der Vorkriegsära beibehalten wollte. Dies<br />

war der Preis, den die Mehrheitssozialdemokraten <strong>für</strong> die Wiedervereinigung zu zahlen hatten.<br />

Auf dem rechten Flügel der Partei hielten manche den Preis <strong>für</strong> zu hoch. Friedrich<br />

Stampfer, der Chefredakteur des „Vorwärts", bemerkte dazu (Bd. 2, S. 722): „Wir müssen die<br />

Kunst lernen, Mehrheiten zu gewinnen, sie zu erhalten und <strong>für</strong> unsere Staats- und wirtschafts-

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