Anhang - Institut für Zeitgeschichte
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414 Marianne Doerfel<br />
war. Die Joachimsthaler hatten allerdings durch die Hausdamen eine neue befriedigende<br />
Lösung <strong>für</strong> die alten Probleme gefunden, und man erwog daher auf staatlicher<br />
Seite, auch in Schulpforta neben den Erziehern wenigstens zwei Hausdamen<br />
anzustellen. Dieser Gedanke wurde nun allerdings mit Entschiedenheit zurückgewiesen.<br />
Templin habe, so hieß es, „einen Zug ins Feminine, sodaß starke männliche<br />
Erzieherpersönlichkeiten dort keinen Wirkungskreis fänden" 22 .<br />
Weitere, wenngleich wichtige Argumente können hier außer Betracht bleiben.<br />
Der zuletzt genannte Einwand erhellt, daß beide Schulen in ihrem Traditionsbewußtsein<br />
eine unterschiedliche Entwicklung durchlaufen hatten. Schulpforta,<br />
zumindest die Alten Pförtner und eine Reihe von Lehrern, hielten an dem Gedanken<br />
der platonischen Gelehrtenrepublik fest. Das Joachimsthalsche Gymnasium war<br />
dagegen durch seinen über zwei Jahrhunderte dauernden Aufenthalt in Berlin, der<br />
die geistige Blüte der Stadt nicht nur sah, sondern selbst mitgestaltete, durch Rationalismus<br />
und Aufklärung einer städtisch-bürgerlichen Wissenschaftskultur geprägt 23 .<br />
Die aristokratische Abgeschlossenheit des Klosters hatte die Schule nach ihrer ersten<br />
Zerstörung nicht mehr kennengelernt. Der hohe wissenschaftliche Anspruch wurde<br />
in diesem Fall durch die Ansiedlung in der Hauptstadt gefördert. Nach der Rückverlegung<br />
in ländliche Umgebung galt daher die besondere Aufmerksamkeit von<br />
Staat und Schule dem Ziel, diesen Standard zu halten.<br />
Eingriffe in die pragmatisch begründeten und gewachsenen Strukturen mußten<br />
aber beide Schulen empfindlich treffen. Ihre elitenbildenden Funktionen waren seit<br />
langem anerkannt und wurden zu Recht auf das spezifische, eigene Erziehungssystem<br />
zurückgeführt, das das selbständige, wissenschaftliche Arbeiten der oberen<br />
Jahrgänge bewußt gefördert hatte 24 . Eine positive Staatsgesinnung konnte gerade<br />
hier nur mit behutsamen Mitteln erreicht werden, unter sinnvoller Nutzung der<br />
alten Formen der gegenseitigen Erziehung. Eine Verjüngung des Lehrerkollegiums<br />
- in Schulpforta verließen viele ältere Lehrer freiwillig die Schule - verstärkte die<br />
allgemeine Verunsicherung nur, denn die Bemühungen republikanischer Politiker<br />
um die Einführung einer Staatsbürgerkunde scheiterten an der Uneinigkeit der Parteien<br />
und vor allem am Mangel an entsprechend vorgebildeten Lehrern. Hinzu kam<br />
der von der Jugendbewegung ideologisierte Generationenkonflikt, ihre Staats- und<br />
Politikverdrossenheit und ihre romantische Verklärung deutsch-völkischer Ideen.<br />
22 Heyer, S. 149.<br />
23 Wenn Gordon Craig in: „Über die Deutschen", 3. Aufl. München 1987, S. 99, das Joachimsthalsche<br />
Gymnasium die „wichtigste kalvinistische Schule des Landes" nennt, so ist das etwas irreführend.<br />
Der Gründer, Joachim Friedrich I., war Lutheraner, starb allerdings bereits ein Jahr nach der Gründung.<br />
Sein Nachfolger, Joachim Sigismund, trat der reformierten Kirche bei und ordnete an, daß die<br />
Lehrer dieser Konfession angehören sollten, nicht jedoch die Schüler. Den Einfluß der Theologen,<br />
bei denen bis Ende des 18. Jhdt. die Visitation der Schule lag, drängte Friedrich II. energisch zurück.<br />
Als 1773 eine Neubenennung fällig war, vermerkte er: „Keinen Pfaffen; da kommt nichts mit heraus."<br />
Im Zuge der Reformen Humboldts wurde die Schule 1815 der Abteilung <strong>für</strong> öffentlichen<br />
Unterricht und Kultus im Innenministerium unterstellt.<br />
24 Dazu gehörte vor allem der in Schulpforta seit langem geltende Studientag mit freien Ausarbeitun<br />
gen selbstgewählter Themen.