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Anhang - Institut für Zeitgeschichte

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Der Griff des NS-Regimes nach Elite-Schulen 407<br />

Vordergrund stand: ein letztes Echo der Gesellschaften und Salons des 18./19. Jahrhunderts.<br />

Die innere Bindung an die Schul- und Erziehungsgemeinschaft zeigte naturgemäß<br />

unterschiedliche Grade der Intensität und hing von der Persönlichkeit, vom<br />

jeweiligen Alter mit seinen verschiedenen Entwicklungsstufen im Gefühlsleben, von<br />

Freundschaften und der Beziehung zu einzelnen Lehrern und Erziehern ab. Auch<br />

das Bewußtsein der Zugehörigkeit zu einem renommierten <strong>Institut</strong> mit einer weitreichenden<br />

Geschichte schwankte, völlig unberührt davon blieben aber wohl die<br />

wenigsten. Bereits der Neuling fühlte sich durch die Aufnahmeprüfung und ihren<br />

Auslesecharakter, auch durch die traditionellen Initiationsriten, in eine Solidargemeinschaft<br />

aufgenommen, die ihn aus seiner bisherigen Umgebung heraushob. Als<br />

„Novex" oder „Ulx" mußte er in früheren Jahrzehnten derbe Streiche über sich<br />

ergehen lassen; nach dem Ersten Weltkrieg traten an die Stelle von - oft beklagten -<br />

Roheiten spaßig-geistvolle Zeremonien mit harmlosen Überraschungseffekten, die<br />

Kränkung oder Einschüchterung ausschlossen. In St. Afra mußte sich der Novex vor<br />

seiner (Arbeits-)Tischgemeinschaft einer feierlichen Prüfung unterziehen, <strong>für</strong> die es<br />

dann eine nach mittelalterlichem Vorbild hergestellte Urkunde, die „Tischzensur",<br />

gab, in Roßleben bestand noch während des Zweiten Weltkriegs die in Sinn und<br />

Ursprung mysteriöse Sitte des „Einbeißens" 8 .<br />

Mutproben oder Experimente mit der physischen Belastbarkeit des einzelnen<br />

gehörten nicht zu dieser Tradition, sie wurden erst von den Nationalsozialisten an<br />

den NPEA eingeführt 9 . Sie waren allerdings Bestandteil einer allgemein verbreiteten,<br />

negativen Schülertradition gewesen, zu deren Bekämpfung man seit Ende des<br />

19. Jahrhunderts die größere Beteiligung der Primaner an Erziehungsaufgaben eingeführt<br />

hatte mit der gleichzeitigen Einräumung von mehr Bewegungsfreiheit: sie<br />

hatten einen eigenen Raum („Kasino") mit Zeitungen, Billard und Brettspielen,<br />

Raucherlaubnis und zusätzlichem Ausgang.<br />

Eine wesentliche Rolle bei der Ableitung jugendlicher Aggressionslust und dem<br />

Drang, die eigene Kraft zu erproben und zu üben, aber auch in der Förderung des<br />

Gemeinschaftsgefühls hatte der Sport. Neben Spiel- und Krocketplätzen gab es<br />

8 Über noch 1934 bestehende afranische Bräuche berichtete ein Lehrer in der Fachpresse. Das „Einbeißen"<br />

in Roßleben war eine alte Schülersitte, bei der die Neuen zur „Einbeißeiche" geführt wurden<br />

und dort ein Stück Eichenrinde zwischen die Zähne nehmen mußten (früher soll es direkt abgebissen<br />

worden sein), damit um den Baum liefen und dabei von den anderen leichte Schläge erhielten,<br />

sich vor den Alteingesessenen verbeugten und anschließend den Abhang hinuntergerollt wurden.<br />

Die „Einbeißrinde" wurde, oft lebenslänglich, aufbewahrt und galt als Beweis der Zugehörigkeit zu<br />

Roßleben. Die Bedeutung dieser Zeremonie ist vor allem darin zu sehen, daß dem Neuen die korporativen<br />

Rechte der Schülergemeinschaft deutlich gemacht werden sollten, unabhängig von der offiziellen<br />

Aufnahme durch die Schulleitung.<br />

9 In St. Afra wurde, nach der Umwandlung in eine Deutsche Heimschule, die Krankmeldung eines<br />

Schülers (1944) auf Grund des Härteprinzips zurückgewiesen. Nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus<br />

starb er (Bericht Lorenz, s. Anm. 16). Im „Bericht über die Arbeit der NPEA", BAK,<br />

R 43 II/956, Bl. 62, heißt es, daß „jeder Jungmann des 7. Zuges" (Sekunda) 8-10 Wochen Dienst in<br />

einem Bergwerk leistet, 14 Tage über Tage, die übrige Zeit unter Tage im Akkord.

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