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Anhang - Institut für Zeitgeschichte

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522 Jacques Bariéty<br />

Deutschland sprachen miteinander im Konzert der Nationen zwischen 1871 und 1914. Das<br />

Vorgehen am 2. August 1914 hingegen konnte von den Franzosen nicht so schnell vergessen<br />

werden (ebensowenig von den Engländern, die aus diesem Grund in den Krieg eingetreten<br />

waren); dies um so mehr, da die Nutzung des belgischen Territoriums als Einfallstor nach<br />

Frankreich dazu führte, daß französisches Territorium <strong>für</strong> mehr als vier Jahre zum Schlachtfeld<br />

wurde. Zusätzlich zu den Toten und Verwundeten hatte Frankreich die materiellen Verwüstungen<br />

zu tragen. Diese Realität kann man nicht stillschweigend übergehen, ohne den<br />

Zustand der öffentlichen Meinung in Frankreich und die Politik der französischen Staatsmänner,<br />

Briand inbegriffen, in der Periode der Westorientierung der "Weimarer Republik zu verkennen.<br />

Von 1924 an (und bis 1938 ...) Verhandlungen mit Deutschland? Ja, von französischer<br />

Seite, aber bis hin zu welchen Konzessionen? Ohne das Deutschland Weimars in ein<br />

schlechtes Licht zu rücken, muß man feststellen, daß Frankreich mißtrauisch blieb, auch wenn<br />

es Verhandlungen akzeptierte und eine Verständigung anstrebte. Sein nach den jüngsten<br />

Erfahrungen legitimes Sicherheitsbedürfnis war durch die Verträge von Locarno nicht voll<br />

befriedigt - oder besser gesagt: Worin sollten die „Nachwirkungen" von Locarno bestehen?<br />

Es stellt sich die Frage nach dem Umfang und dem Zeitplan dieser „Nachwirkungen".<br />

Damit befinden wir uns mitten in der Tragödie des Mißverständnisses zwischen Frankreich<br />

und Deutschland über die Nachwirkungen von Locarno. Dieses Mißverständnis wurde noch<br />

verstärkt durch das Gespräch Gustav Stresemanns mit Aristide Briand am 17. September 1926<br />

in Thoiry, kurz nach dem Eintritt Deutschlands in den Völkerbund. Durch dieses Gespräch<br />

gewann Stresemann den Eindruck, daß Deutschland seine Interpretation Locarnos im Sinne<br />

einer Revision des Statuts von 1919 aufrechterhalten, ja noch verstärken könne. Stresemann<br />

ließ bis zu seinem Tod nicht von dieser Idee ab, trotz entgegengesetzter Signale aus Paris, vor<br />

allem von Hoesch. Peter Krüger, dessen Buch auf den Akten der Wilhelmstraße basiert, baut<br />

seine ganze Interpretation des Werks von Stresemann auf den Hoffnungen auf, die im Denken<br />

Stresemanns durch die Möglichkeiten von Locarno geweckt und durch die Gespräche<br />

von Thoiry verstärkt worden waren.<br />

Das Drama bestand darin, daß man in Paris ganz anders dachte und daß man sich dessen in<br />

Berlin nicht bewußt war. Thoiry war, wie ich in einer früheren Publikation darlegte, eingebettet<br />

in einen ausgesprochen zweideutigen Kontext 22 . Die Lektüre des Buchs von Peter Krüger<br />

bestärkt mich bis zur Gewißheit in der Annahme, daß das Treffen von Thoiry durch die divergierende<br />

Weise, in der es in Berlin und in Paris interpretiert wurde, ein wahres Unglück gewesen<br />

ist. Die Verantwortung da<strong>für</strong> trug die französische Seite, genauer gesagt Briand. Er, der<br />

seit seiner Rückkehr nach Paris nicht verkannt haben konnte, daß das Projekt von Thoiry<br />

nicht durchführbar war, hatte niemals den Mut, es Stresemann offen zu sagen und ließ zu,<br />

daß der deutsche Staatsmann weiter Hoffnungen nährte, auf deren Basis er eine illusorische<br />

Politik entwarf. Der Vorwurf, den ein französischer Historiker Peter Krüger nicht ersparen<br />

kann, ist, daß er das Gewicht dieser nicht erklärten Scheidung zwischen Berlin und Paris nach<br />

Thoiry nicht genügend in Rechnung stellt.<br />

Es bleiben die Jahre 1930 bis 1932. Die fünfzig Seiten, die der Autor ihnen widmet, können<br />

den Leser nicht überzeugen. Zunächst die Zäsur: Fand sie im Oktober 1929 oder im<br />

März 1930 statt? Die Argumentation Krügers mit den deutsch-polnischen Verhandlungen des<br />

Winters 1929/1930, die zu den Verträgen im März 1930 führten, erscheint nicht ausreichend,<br />

um die Zäsur im Frühjahr 1930 (sie fällt zusammen mit der Demission der Regierung Müller,<br />

22 Jacques Bariéty, Finances et Relationes Internationales: à propos du „plan de Thoiry", in: Relationes<br />

Internationales, 1980, H. 21, S. 51-70, und Jacques Bariéty, Tauziehen um ein neues Gleichgewicht.<br />

Konsolidierung oder Revision von Versailles?, in: Eine ungewöhnliche Geschichte. Deutschland-<br />

Frankreich seit 1870, hrsg. v. Franz Knipping und Ernst Weisenfeld, Bonn 1988, S. 101-111. Vgl.<br />

ebenda: Georges Soutou, Deutschland, Frankreich und das System von Versailles, S. 73-84, ferner:<br />

Peter Krüger, Briand, Stresemann und der Völkerbund, S. 85-100.

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