12.01.2013 Aufrufe

Anhang - Institut für Zeitgeschichte

Anhang - Institut für Zeitgeschichte

Anhang - Institut für Zeitgeschichte

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

532 Anthony J. Nicholls<br />

Die Tatsache, daß die Nationalversammlung in Weimar tagen mußte, illustriert die Gefahr<br />

der Anarchie. Noskes Freikorps waren in vieler Hinsicht verhängnisvoll, aber <strong>für</strong> das Problem<br />

von Gesetz und Ordnung stellte sich keine leichte Lösung ein. Ein Weg zur Stützung dieser<br />

Ansicht ist die Prüfung der Vorgänge in Bayern. Dort weigerte sich eine Regierung, an deren<br />

Spitze Kurt Eisner von der USPD stand, ein lauterer ethischer Sozialist, innerhalb der bayerischen<br />

Grenzen die Aufstellung eines Freikorps zuzulassen. Die Folge bestand darin, daß ein<br />

demokratisch gewähltes Parlament nicht gegen radikale Minderheiten geschützt werden<br />

konnte. Danach kam es zur Bildung zweier nicht repräsentativer Räterepubliken und zu<br />

einem Bürgerkrieg, aus dem Bayern nur durch Noskes norddeutsche Truppen zu retten war.<br />

München wurde die Hochburg der Reaktion und später Schauplatz des Hitler-Putsches.<br />

Hätte es südlich des Mains sogleich zuverlässigere Streitkräfte gegeben, wäre das so fatale<br />

Phänomen „Ordnungszelle Bayern" vielleicht zu vermeiden gewesen. Winkler hat nicht viel<br />

Gutes über Noske zu sagen, den er, wenn konfrontiert mit radikaler Opposition auf der Linken,<br />

nur allzu bereit zum Blutvergießen sieht. Die Greueltaten, die von den Freikorps während<br />

der revolutionären Periode verübt wurden, sind in der Tat berüchtigt; die Morde an Karl<br />

Liebknecht und Rosa Luxemburg stellen nur die bekanntesten, keineswegs die schändlichsten<br />

Beispiele dar. Und doch bleibt die Frage nach der Alternative zur Politik Noskes! Sein Rücktritt<br />

nach dem Kapp-Putsch wird mit Recht als Rückschlag <strong>für</strong> die Republik gesehen.<br />

Ähnliche Probleme ergeben sich bei der These, daß die Arbeiter- und Soldatenräte hätten<br />

besser genutzt werden können, um Deutschland zu „demokratisieren". Hier ist eine dem<br />

Anschein nach attraktive Alternative politischen Handelns, doch zeigt Winkler, daß diese<br />

revolutionären Organe in Wirklichkeit nur zur Erfüllung sehr begrenzter Funktionen fähig<br />

waren. Wenn man die Zusammensetzung der Räte berücksichtigt, erweist sich die Vorstellung,<br />

daß sie in der Zeit zwischen dem Sturz der Monarchie und der Einberufung der Nationalversammlung<br />

zur Restrukturierung des deutschen Verwaltungs- und sogar Bildungssystems hätten<br />

verwendet werden sollen, als ganz illusorisch. Die meisten Räte waren zu unsicher, um<br />

ohne Anweisung zu handeln, und allen fehlte geschultes Personal. Die Reform gesellschaftlicher<br />

und administrativer Strukturen braucht lange Zeit. Die Schlußfolgerung ist kaum zu vermeiden,<br />

daß Eberts Entscheidung, solch fundamentale Fragen der demokratisch gewählten<br />

Nationalversammlung zu überlassen, richtig war. Größere Experimente der Räte hätten nur<br />

Störungen verursacht und womöglich sogar zum Bürgerkrieg geführt. Im übrigen wären sie<br />

nach dem Zusammentritt eines ordnungsgemäß gewählten Parlaments mit größter Wahrscheinlichkeit<br />

desavouiert worden.<br />

Auch hier ist das Beispiel Bayerns lehrreich. Eisner benützte die Räte bei der Gestaltung der<br />

Verfassung des bayerischen „Freistaats" und suchte sie in das politische System des Landes als<br />

eine permanent „demokratisierende" Kraft einzubauen. Obwohl Parlamentswahlen in Bayern<br />

vor solchen Wahlen im ganzen Reich stattfanden, zögerte Eisner die Einberufung des Landtags<br />

bis zum 21. Februar hinaus. Weit davon entfernt, der bayerischen Bevölkerung die<br />

Früchte der Revolution zu sichern, führte die Verzögerung aber direkt zu seiner brutalen<br />

Ermordung und zum Chaos der Räterepublik.<br />

Schließlich müssen wir uns fragen, was viele sozialistische Anhänger von der Novemberrevolution<br />

erwarteten. Erstrebten zum Beispiel die Bergarbeiter im Ruhrgebiet eine Reform der<br />

Bürokratie oder neue Lehrpläne in höheren Schulen? Eigentlich nicht! Was sie wollten, das<br />

war die Kontrolle der Arbeiter über die Kohlengruben, und dies hätte zu Ineffizienz und Produktionsrückgang<br />

geführt. Wie hätte eine Regierung, die Kohle und andere Industrieprodukte<br />

mehr als dringend brauchte, ernstlich daran denken können, solchen Forderungen<br />

nachzugeben? Sicherlich war es besser, die politischen Ziele der Revolution zu erreichen und<br />

dabei zu hoffen, daß die administrativen, wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen folgen<br />

würden.<br />

Hier sollten wir uns daran erinnern, daß ja schon die Weimarer Verfassung ein wahrhaft<br />

revolutionäres Dokument - <strong>für</strong> Deutschland - war, indem sie ein völlig demokratisches

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!