EUROPA NEU DENKEN - Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst ...
EUROPA NEU DENKEN - Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst ...
EUROPA NEU DENKEN - Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
„Tempo de soto“, „Wetter von unten“, sagte man früher, wenn der Duft des<br />
Meeres <strong>und</strong> des Sommers in diese Gegend kam, die Zeit des Eros. Benito<br />
Nonino erinnert sich noch, wie er als Kind von einer Frau aus der Bisiacaria<br />
sprechen hörte, die einfach „die Geliebte“ war, ohne dass erklärt wurde, von<br />
wem – es will schon etwas heißen, wenn man von jemandem sagen kann, er<br />
sei schlichtweg ein Geliebter, <strong>und</strong> dies sein Hauptmerkmal ist. Das Meer ist<br />
nahe, es vermischt sich mit dem Süßwasser des Flusses <strong>und</strong> der Sümpfe. Der<br />
Strand von Staranzano ist mit trockenem Schlick bedeckt, das Wasser ist sehr<br />
flach, dicke Fische schwimmen zwischen unseren Beinen, eine Krabbe, die wir<br />
in die Hand nehmen, bewegt ihre Scheren <strong>und</strong> verschwindet im Sand, sobald<br />
sie wieder auf den Boden gesetzt wird. Viele große Häuser, wie früher gebaut<br />
<strong>und</strong> w<strong>und</strong>erschön, sind Schwarzbauten <strong>und</strong> der Anlass eines erbitterten Streits<br />
zwischen denen, die die traditionelle Landschaft verteidigen, <strong>und</strong> denen, die<br />
das Gesetz hüten. Hier verlief in der Antike die Bernsteinstaße. Der Schlick<br />
bricht unter den Füßen auf, Algen <strong>und</strong> leere Muschelschalen modern in der<br />
Sonne, der Nachmittag ist weit vorgerückt. „Eusebios altert in Würde“, sagt die<br />
lateinische Inschrift, die nicht weit von hier auf der Urne einer vornehmen römischen<br />
Familie entdeckt wurde.<br />
7.<br />
Die Sprachgrenzen sind nicht wahmehmbar, sie erfordern ein besonderes Ohr.<br />
Carlo Luigi Bozzi konnte das langsame Skandieren der Bewohner von Sagrado<br />
vom knappen, schnellen Rhythmus der Leute aus Fogliano unterscheiden,<br />
seinem benachbarten Geburtsort. Der Historiker, Erzieher <strong>und</strong> Dichter lebt in<br />
zwei Straßen, einer Schule <strong>und</strong> einem Grabstein fort, die seinen Namen tragen,<br />
sowie in zahlreichen gelehrten Büchern <strong>und</strong> in seiner Dichtung. Diese ist<br />
unauflöslich mit dem bisiaco-Dialekt verschmolzen, aus dem jede m<strong>und</strong>artliche<br />
Folklore entfernt wurde, so dass er zu einer Ausdrucksform der Welt<br />
wurde. In seinen Versen geht es um Fogliano mit seinen Kirchen, den Berg,<br />
die „lustigen Saufkumpane“, die düsteren Existenzen, die zwischen Kirche <strong>und</strong><br />
Gasthaus zugebracht werden. Zur Gemeinde Fogliano gehört auch Redipuglia,<br />
die große Gedenkstätte für die gefallenen Soldaten; das Heilige ist das Gefühl<br />
der Gleichheit aller Menschen vor dem Tod, jeder – auch wenn er einen Namen<br />
hat – ist ein unbekannter Soldat.<br />
Ganz in der Nähe Sagrado, dessen Zugehörigkeit zur Bisiacaria umstritten ist.<br />
182