EUROPA NEU DENKEN - Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst ...
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möglichkeiten zu beklagen. Und damit wird den Menschen ihre Lebenssituation<br />
krisenhaft, weil mit der Verleugnung der Sprache der Verlust des Vertrauens<br />
in die eigenen Werte <strong>und</strong> letztendlich: die Verleugnung dieser Werte<br />
einhergehen.<br />
Im deutschen Sprachraum waren es in den späten 1970er Jahren Kommunikationswissenschafter<br />
wie Will Teichert oder Franz Ronneberger, die die Region<br />
als publizistische Aufgabe <strong>und</strong> somit als Herausforderung für die Politik in das<br />
Zentrum der „Kommunikationsraum-Diskussion“ stellten. Die kulturelle Eigenart<br />
galt dabei als wesentliches Moment, das den Menschen in einer immer<br />
komplexer <strong>und</strong> intransparenter wahrgenommenen Gesellschaft Verhaltenssicherheit<br />
gewährleisten kann.<br />
Vor Ort konkretisiert sich zwischenmenschliches Handeln. Dieses Handeln ist<br />
stets eingebettet in einen von Traditionen <strong>und</strong> sozialen Gegebenheiten geprägten<br />
Kontext. Am Ort entscheidet sich die Werthaltigkeit von Entscheidungen,<br />
die zumeist jenseits der konkreten lebensweltlichen Realität der Betroffenen<br />
gefällt werden. Verrechtlichung, Ökonomisierung <strong>und</strong> Bürokratisierung realisieren<br />
ein Empire der statistischen Wahrscheinlichkeiten. Die Menschen leben<br />
aber die Multitude von Einzelschicksalen <strong>und</strong> Werten, die in der je spezifischen<br />
Lebenswelt auf ihre Anwendbarkeit hin überprüft werden. Diese Multitude generiert<br />
im weiten Raum der globalen Werterelativität Werte, die tatsächlich<br />
gelebt werden.<br />
Und genau diese Werte generierende Funktion gelebter Kulturen ist das größte<br />
Potenzial der Ungleichzeitigkeit. Erst wenn die Vielfalt von möglichen Lebenswelten<br />
ihren je kulturellen Ausdruck findet, kann Europa als Vielfalt in der Einheit<br />
funktionieren. Und Europa kann als solche Einheit nur als Wertegemeinschaft<br />
gedacht werden. Als Werte-Makrokosmos, in dem sich die vielfältigsten<br />
<strong>und</strong> unterschiedlichsten Mikrokosmen als Möglichkeit von Aisthesis im Sinne<br />
von Martha Nussbaum sammeln. Denn nur über Aisthesis lassen sich normative<br />
Fragen in konkreten Situationen beantworten, weil diese Form der Wahrnehmung<br />
im wörtlichen Sinn von Aisthesis die Anwendung von Regeln ebenso<br />
ermöglicht, wie die Regelveränderung angesichts geänderter Situationsbeschreibungen.<br />
Europa neu gedacht, muss ein Europa der Werte <strong>und</strong> der Wertevielfalt sein, die<br />
die Vielzahl von unterschiedlichen Weltzugängen fordert <strong>und</strong> fördert. Die aktuelle<br />
Krise Europas ist meines Erachtens weniger eine wirtschaftliche, sondern<br />
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