EUROPA NEU DENKEN - Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst ...
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Auch in Europa nimmt die Zahl der Nicht-Orte zu. In Ballungszentren bzw. an<br />
der Peripherie von Ballungszentren nehmen diese Nicht-Orte beinahe schon<br />
überhand. Einkaufszentren ‚umzingeln’ nicht nur Prag, Wien, Ljubljana oder Paris,<br />
beinahe jede Provinzstadt wird von den Segnungen der unbegrenzten Konsummöglichkeiten<br />
bedrängt. Die historischen Zentren verlieren ihre Bedeutung<br />
als Lebensräume <strong>und</strong> Orte der gesellschaftlichen Praxis.<br />
Die dalmatinischen Weinbauern versorgen sich mit importiertem Aceto balsamico<br />
von Billa <strong>und</strong> verlernen es, ihren eigenen Essig herzustellen. Kärntner<br />
Bauern kaufen Eier bei Hofer <strong>und</strong> das Fleisch bei Merkur. Und selbst in den<br />
Fischhallen von Chioggia werden Produkte von Nordsee gehandelt …<br />
2.<br />
Wenn man sich den – medial wahrnehmbaren – Zustand Europas in jüngster<br />
Zeit vor Augen hält, kommt man unweigerlich zu einem Schluss: die alten Propheten<br />
der Apokalypse haben Recht behalten. Der Untergang des Abendlandes<br />
scheint nur mehr eine Frage der Zeit zu sein.<br />
Und tatsächlich hat es den Anschein, als würde Oswald Spengler von diesen<br />
Tagen sprechen, wenn er in seinem umstrittenen Untergangsszenario ein<br />
Schlusskapitel zivilisatorischer Entwicklung dann erreicht sieht, wenn der fruchtbare<br />
Antagonismus zwischen Peripherie <strong>und</strong> Metropole außer Kraft gesetzt ist.<br />
Die Verstädterung der Kultur läutet ihren Untergang ein. Der Steinkoloss „Weltstadt“<br />
ist – so Spengler – jener Moloch, der Kultur in der Erstarrung des Gewordenen<br />
fixiert, zwar Veränderung, aber keinerlei Entwicklung mehr zulässt. Nicht<br />
mehr Individuen, sondern die Masse prägen die absolute Stadt, die für Spengler<br />
die Todessymbolik des endgültig Gewordenen enthält. Das neue Nomadentum<br />
der Weltstädte, die Masse ist – meint Spengler – das Ende, das absolute<br />
Nichts.<br />
Auch die unsere Zeit prägende Vorherrschaft der Massenmedien <strong>und</strong> des Geldes<br />
hat der alte Meister des Kulturpessimismus vorhergesehen. Wenn wir heute<br />
vom Informationszeitalter <strong>und</strong> der Mediatisierung unserer Gesellschaft sprechen,<br />
hat das Spengler bereits vor beinahe 100 Jahren intuiert. Für ihn lässt das<br />
Trommelfeuer von Sätzen, Schlagworten, Standpunkten, Szenen, Gefühlen,<br />
Tag für Tag, Jahr für Jahr jedes Ich zur bloßen Funktion eines ungeheuren geistigen<br />
Etwas werden. Leviathan scheint Behemoth endgültig überw<strong>und</strong>en zu<br />
haben.<br />
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