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EUROPA NEU DENKEN - Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst ...

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Nicht ganz h<strong>und</strong>ert Jahre später wird der Amerikaner Neil Postman unter dem<br />

Titel Wir amüsieren uns zu Tode einen ähnlichen Bef<strong>und</strong> abgeben, leicht lesbar<br />

<strong>und</strong> eher populärwissenschaftlich. Komplexer in ihrer Argumentation <strong>und</strong> wissenschaftshistorisch<br />

relevanter, ähnlich kulturpessimistisch <strong>und</strong> kapitalismuskritisch<br />

sind die Diagnosen von Adorno/Horkheimer, Marcuse oder Günther<br />

Anders bis zu den Denkern der Postmoderne wie Foucault oder Baudrillard.<br />

Der „Tod des Subjekts“ tritt ein, sobald der Mensch als Zubehör der Lage aufgefasst<br />

<strong>und</strong> jede Idee – <strong>und</strong> somit auch die kulturellen Hervorbringungen – zunächst<br />

in Geld gedacht wird. In einer unheiligen Allianz popularisieren die Massenmedien<br />

das Verschwinden des Menschen hinter Funktionen <strong>und</strong> in der<br />

Masse.<br />

Um noch ein wenig im Kulturpessimismus zu schwelgen: In seinem Epilog zur<br />

Kulturgeschichte der Neuzeit entwirft Egon Friedell ein Bild unserer Wirklichkeit,<br />

das Baudrillard mit dem Begriff Simulakrum oder Anders mit der Feststellung<br />

der Welt als Phantom <strong>und</strong> Matrize Jahrzehnte später <strong>und</strong> angesichts einer sich<br />

konkret abzeichnenden Medienverfassung zeichnen. „Es gibt keine Realitäten<br />

mehr, sondern nur noch Apparate: eine Welt von Automaten, ersonnen im Gehirn<br />

eines boshaften <strong>und</strong> wahnsinnigen Doktor Mirakel. Es gibt auch keine Ware<br />

mehr, sondern nur noch Reklame, der wertvollste Artikel ist der am wirksamsten<br />

angepriesene: in dessen Reklame das meiste Kapitel investiert wurde.“ 1<br />

Als hätte Rosser Reeves, der „Erfinder“ der Unique Selling Proposi tion (USP),<br />

Friedell rezipiert <strong>und</strong> seine Schreckensvision zynisch Wirklichkeit werden lassen.<br />

Auch hinsichtlich der Rolle der Wirtschaft kommt Friedell zu ähnlich negativen<br />

Einschätzungen wie Spengler – oder auch Martin Buber: Die Wirtschaft wäre<br />

Selbstzweck <strong>und</strong> Lebensinhalt geworden, was zu Lasten der Seele in den sozialen<br />

Beziehungen ginge, die Mechanisierung der Arbeit ermöglichen <strong>und</strong><br />

den Arbeiter zum auswechselbaren Maschinenbestandteil machen würde.<br />

Man denke in diesem Zusammenhang zum Beispiel an den – doch eher zynischen<br />

– Begriff „Humankapital“, der nachgerade schmerzhaft jenen von „Menschenmaterial“<br />

anklingen lässt.<br />

Friedell lässt seinen Epilog mit fünf Szenarien ausklingen, die das Schicksal des<br />

Abendlandes bestimmen können. Vier der fünf Möglichkeiten stellen sich als<br />

1 Friedell, Egon, Kulturgeschichte der Neuzeit, 2 Bde., 4. Aufl., München 1983, 1513.<br />

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