EUROPA NEU DENKEN - Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst ...
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schneller das Tempo des kulturellen Wandels wird, umso größer wird der Bedarf<br />
an Historisierung. Je schneller uns immer Neues begegnet, umso schneller<br />
wird es auch zum Alten. <strong>Kunst</strong>werke wandern immer zügiger ins Museum,<br />
manches Mal schon unmittelbar, nachdem sie produziert worden sind. Vom<br />
Atelier direkt ins Museum, das ist eine bisher unerhörte Veraltungsgeschwindigkeit.<br />
Aus jungen Wilden werden unversehens zahme Alte. Für Künstler der<br />
Avantgarde ein schmerzhafter Prozess. Da der Reichtum an neuen Einfällen<br />
begrenzt ist, kehrt auch immer schneller irgendetwas wieder. Man kann nun<br />
auch getrost auf der Stelle treten <strong>und</strong> man findet sich nach einiger Zeit unversehens<br />
in der Avantgarde vor.<br />
Beispiel Nr. 2: Modern ist das Schwinden der räumlichen Distanzen. Der neue<br />
Welthandel der Devisen- <strong>und</strong> Kapitalmärkte, der r<strong>und</strong> um die Uhr in Echtzeit<br />
getätigt wird, die neuen Kommunikationstechniken, sie lassen die Räume <strong>und</strong><br />
die zeitlichen Abstände schwinden. War es bisher den Heiligen vorbehalten, an<br />
zwei Orten gleichzeitig erscheinen zu können, so ist der moderne Mensch zur<br />
gleichen Zeit hier <strong>und</strong> dort. Medial ist er sogar allerorten, allgegenwärtig in<br />
seltsamer Omnipräsenz. Dabei sitzt er, wenn ihm die Welt medial begegnet,<br />
vermutlich in einem Sessel, an einem ganz bestimmten Fleck. Wie versteht<br />
der moderne Mensch die Welt? Ist sie ihm ein Fernsehbild? Eine Nachricht im<br />
Netz? Sieht er sie als eine Art Hotel? Als touristischen Aufenthaltsort? Wo ist<br />
sein Wohnort, sein Standort? Beides, „Wohnort“ <strong>und</strong> „Standort“, sind Begriffe,<br />
die das griechische Wort „ethos“ einmal bezeichnet hat, <strong>und</strong> ich frage mich<br />
immer, wenn Wirtschaftsführer vom „Standort“ reden, ob sie sich an die alte<br />
Bedeutung noch erinnern.<br />
Modern ist eine so nie gekannte Entortung des Lebens. Aber auch in diesem<br />
Fall gibt es Bewegung <strong>und</strong> Gegenbewegung. Je mehr wir virtuell (oder auch<br />
realiter) allerorten sind, umso mehr wollen wir wissen, wo wir eigentlich zuhause<br />
sind. Ort ist nicht gleich Ort, wie es uns manche Theoretiker der Globalisierung<br />
weismachen wollen. Ein Hotel ist kein Zuhause, eine Ferienwohnung<br />
keine Bleibe fürs Leben. Man kann heute jeden Winkel der Welt bereisen. In<br />
der virtuellen Welt können wir herumschweifen als neue Nomaden. Virtuell<br />
oder zeitweilig ist das Leben global, gelebt wird es immer lokal.<br />
Beispiel Nr. 3: Die Moderne drängt zur Globalität. Sie drängt wirtschaftlich <strong>und</strong><br />
politisch zur Großräumigkeit. Ein Prozess, der an Dynamik gewonnen hat, seit<br />
die Ost-West-Spaltung aufgehoben wurde <strong>und</strong> Demokratie <strong>und</strong> Kapitalismus<br />
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