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EUROPA NEU DENKEN - Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst ...

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egegnen die Schlagworte von heute: „Eintracht“, „Völkermischung“, „Gleichheit“,<br />

„Frieden“, „freier Verkehr“ etc. 8<br />

Der Kosmopolitismus ist machtpolitisch missbrauchbar, <strong>und</strong> er wird vor allem<br />

dann ideologisch, wenn er suggeriert, dass wir zu jedem Menschen auf dieser<br />

Erde in derselben Beziehung stehen wie zu unseren Eltern, Kindern oder<br />

Lands leuten. Man preist heute gerne die Nähe zum Fernsten, <strong>und</strong> in der Tat<br />

sind wir jedem Menschen in allgemeiner Menschlichkeit verb<strong>und</strong>en. Es gibt<br />

eine allgemeine Pflicht zur Hilfe, über die übrigens im Lehrstück vom Barmherzigen<br />

Samariter das Wesentliche gesagt ist. Aber neben der Nähe zum<br />

Fernsten gibt es auch die Nähe zum Nahen, <strong>und</strong> diese Nähe zum Nahen kann<br />

man nicht im Namen des Universalismus <strong>und</strong> Kosmopolitismus überspringen.<br />

Wohin die einseitige Favorisierung von Universalismus <strong>und</strong> Kosmopolitismus<br />

führt, dafür bietet der berühmte fire case des Philosophen Godwin ein schlagendes<br />

Beispiel. 9 Godwin stellt sich die Frage, wen man aus einem brennenden<br />

Haus retten soll, den eigenen Vater oder Fénelon, den berühmten Verfasser<br />

der Télémaque. Godwin meint, dass Fénelon zu retten sei, weil dieser für<br />

das Glück der Menschheit bedeutsamer sei als der eigene Vater. Das ist Universalismus<br />

pur, hier noch gepaart mit Utilitarismus. Man sieht auf einen Blick,<br />

der Universalismus, für sich genommen, führt zu einer Welt, in der es nur noch<br />

Menschen, aber keine Väter <strong>und</strong> keine Söhne mehr gibt. Der Philosoph Albert<br />

Camus hatte sich für das gegenteilige Extrem ausgesprochen. Er sagte<br />

während des Algerienkrieges: „Ich glaube an die Gerechtigkeit. Aber bevor ich<br />

die Gerechtigkeit verteidige, werde ich meine Mutter verteidigen.“ 10<br />

Godwin <strong>und</strong> Camus – beide zeigen Extrempositionen, die zu vermeiden sind.<br />

Eine ausgewogene Theorie der Moderne muss Emanzipation <strong>und</strong> Tradition,<br />

Herkunft <strong>und</strong> Zukunft miteinander vereinen können. Ein Modell dafür liefert<br />

die Philosophie Hegels. Sie bietet einen Ausgleich von Emanzipation <strong>und</strong> Tradition,<br />

ausgehend von der Annahme, dass die moderne Emanzipation von<br />

Voraussetzungen lebt, die sie selber nicht garantieren kann. Ernst-Wolfgang<br />

Böckenförde hat dies bekanntlich vom modernen Staat behauptet, dass er von<br />

8 Ottmann, Henning, Geschichte des politischen Denkens. Die Griechen, Bd.1/2, Stuttgart 2001, 260ff.;<br />

Ders., Die Römer, Bd. 2/1, Stuttgart 2002, 298f.<br />

9 Godwin, William, Enquiry Concerning Political Justice, Vol. II, London 1793, c.2.<br />

10 Zit. nach Todd, Olivier, Albert Camus. Ein Leben, Reinbek 1999, 754.<br />

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