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In seiner Abhandlung zum Rassismus äußerte sich Trubezkoy über Juden wie eine Kultur,<br />
für welche die Bereitschaft zur Auswanderung und Ansiedlung typisch sei. 67 Galut – das<br />
Leben der Juden unter anderen Völkern – bezeichnete er als Emigration. Die Juden verfügten<br />
über eine feste Emigrationstradition, deren Grundpfeiler das Doppelmoral gewesen sein soll:<br />
Die Juden verhielten sich im Umgang mit den Mitgliedern eigenen Volkes (unsersgleichen)<br />
nicht so wie den Anderen (goim) gegenüber. 68 Dieser Schutzmechanismus, der das Verhalten<br />
einer Schicksalsgemeinschaft charakterisiert, ist ein klares Element der Strategie sozialer<br />
Abschliessung. 69 Trubezkoy meinte, dass dieses Verhalten vor allem für die erste Generation<br />
der Migranten wichtig sei. Die Migranten der zweiten Generation können ihre Identität nur<br />
bewahren, wenn das Volk der Umgebung für sie widerlicher ist als die Neigung zum<br />
Zusammenschmelzen mit diesem Volk: „психологическое отталкивание от окружающего<br />
его народа будет в его душе преобладать над влечением в слиянию с этим народом.” 70<br />
Trubezkoy musste gestehen, dass solche Einstellung psychisch destruktiv ist, doch sei sie<br />
der Preis, zu dem die nationale Sonderstellung der nachkommenden Generation erkauft<br />
werden könnte: „это цена, которой только и может быть куплено сохранение<br />
национальной обособленности непервых поколений.” 71<br />
Trotz manchen widersprechenden Meinungen lässt sich nachweisen, dass sich die<br />
jüdischen Migranten in die Pester Kultur ziemlich schnell integrieren konnten. 72<br />
Wahrscheinlich, weil die Kulturwerte Pester Ambiente für sie verständlich, die<br />
Verhaltensnormen der Mehrheit nicht zu fremd und im Grunde genommen akzeptabel waren.<br />
Die Vorwürfe, dass die Juden zur kriminellen informalen Wirtschaft in Pest beigetragen<br />
hätten, waren zum Teil selbstverständlich berechtigt. Die Kriminalität ist auch eine<br />
Begleiterscheinung der Migration bzw. Integration. Die jüdischen Migranten waren anfangs<br />
auch illegal in Pest, da sie keine Genehmigung, kein Recht auf Bleiben hatten. Unter diesen<br />
Umständen konnten sie legale Wege für die Erhaltung eigener Existenz und ihrer Familien<br />
67<br />
Trubeckoy 1995. 449-457 (О расизме). Es ist hinzuzufügen, dass Jakov Katz die Juden in Diaspora als eine<br />
Untergruppe der Außengesellschaft bezeichnete (Katz 2005. 23). Diese Bezeichnung könnte für die<br />
Außengesellschaft sogar gelten, doch wird dadurch die aktive gesellschaftliche Rolle der jüdischen Ethnie zu<br />
Unrecht übersehen.<br />
Das von Trubezkoy als Doppelmoral bezeichnete Verhalten aber ist für alle ethnisch-religiösen Gruppen<br />
notbedingt typisch.<br />
68<br />
Trubeckoy 1995. 452 - 453.<br />
69<br />
Wolfgang Kaschuba bezieht sich dabei auf Max Weber.<br />
Kaschuba 2003. 143<br />
70<br />
Trubezkoy 1995. 454<br />
71<br />
Ebenda<br />
72<br />
An dieser Stelle zitiere ich Zoltán Bosnyák, der meinte, dass sich die Juden wegen der Eigenartigkeiten ihrer<br />
Rasse nicht anpassen können. Ihr Moral, ihre religiösen und gesellschaftlichen Sitten würden die Juden an der<br />
Integration hindern. Die Volksinstinkte machen sich trotz „dem Schmelzüberzug“ auf der Oberfläche sichtbar.<br />
Bosnyák 1935. 6<br />
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