DING UND EVIDENZ: DER VERSTANDESBEGRIFF UND DIE ...
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werden könnte, welches eben so viel heißt, als die Vorstellung würde<br />
entweder unmöglich, oder wenigstens für mich nichts sein.« 43<br />
Die Alternative zwischen einer unmöglichen Vorstellung und einer Vorstellung,<br />
die für mich nichts sein könnte; vielleicht, weil letztere weder<br />
formale Bedingungen der Anschauung noch die Identität der Handlung<br />
als Einheitsgrund angeben könnte, deshalb alleine aber noch nicht eine<br />
unmögliche Vorstellung überhaupt genannt werden könnte, verlangt nach<br />
einer Erklärung. Es kann vermutet werden, daß Kant damit schon jene<br />
Unterscheidung getroffen hat, die Bolzano mit der Unterscheidung in „sich<br />
widersprechende“ und in „unmögliche“ Vorstellungen ausgedrückt hat: In<br />
sich widersprüchliche Vorstellungen haben wohl einen Inhalt, aber eben<br />
wegen dessen Widersprüchlichkeit keinen Gegenstand. Die unmögliche<br />
Vorstellung bezieht sich aber für Bolzano schon auf Gesetze, die für ihren<br />
als real behaupteten Gegenstand gelten, aber ihren Inhalt eben diesen<br />
Gesetzen gemäß für unmöglich erklären müssen, obgleich die Vorstellung<br />
selbst aus für sich selbst widerspruchsfreien Elementen besteht. 44<br />
Wesentlich ist dabei die Unterscheidung in Widerspruchsfreiheit der<br />
Prädikate untereinander und in Widerspruchsfreiheit der Konsequenzen<br />
dieser Prädikate. Die unmöglichen Vorstellungen Bolzanos wären bei Kant<br />
aber vermutlich doch solche Vorstellungen, die »wenigstens für mich<br />
nichts sein« könnten, sofern sie keine sinnlich gegebene Anschauung<br />
enthalten könnten; die sich widersprechenden Vorstellungen Bolzanos<br />
wären diejenigen, die Kant »unmögliche« Vorstellungen nennt. Bolzano<br />
nennt also diejenigen Vorstellungen unmöglich, die einem physikalischen<br />
(jedenfalls wirklichen) Gesetz widersprechen, Kant bezeichnet eben<br />
dieselbe Art von Vorstellungen als solche, die »wenigstens für mich nichts<br />
sein« könnten, weil sie nicht unserer empirischen Organisation der Sinne<br />
und der Erkenntnisvermögen entsprechen. Hingegen sind diejenigen<br />
Vorstellungen, die Kant als »unmöglich« bezeichnet, bei Bolzano jene, die<br />
dieser als widersprüchlich bezeichnet, aber deshalb noch nicht als für<br />
unser Denken als unmöglich, da wir eben unter anderen sehr wohl auch<br />
widersprüchliche Vorstellungen denken. — Kants Begriff von einer<br />
Vorstellung ist hier offensichtlich ursprünglich auf Vorstellungen mit<br />
Anschauung beschränkt.<br />
43 B 131<br />
44 Bernard Bolzano: Wissenschaftslehre. Versuch einer ausführlichen und größtenteils<br />
neuen Darstellung der Logik mit steter Rücksicht auf deren bisherigen Bearbeiter,<br />
Sulzbach 1837, § 67 (unmögliche Vorstellungen) und § 70 (imaginäre Vorstellungen).