Westeuropäische Linke und "dritter Weg" - Berliner Institut für ...
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Thesen zur gegenwärtigen Situation der Germanistik 411<br />
um sich greifende ökologische Verwüstung - verzichten daher viele der linken Germanisten<br />
auf den 'langen Marsch durch die <strong>Institut</strong>ionen' oder gar auf ein Konzept revolutionärer<br />
Umwälzungen <strong>und</strong> beschränken sich lieber auf das Nahe- <strong>und</strong> Nächstliegende:<br />
ihre Umgebung, ihre Fre<strong>und</strong>e, ihre Partner, ihre Kinder oder ihre uteigensten seelischen,<br />
geistigen <strong>und</strong> leiblichen Bedürfnisse.<br />
Wie man weiß, haben diese Tendenzen auch ihre trend bewußten Aspekte. Daher ist<br />
nicht alles, was heute <strong>für</strong> eine gr<strong>und</strong>legende Änderung der 'unmittelbaren Lebenszusammenhänge'<br />
eintritt, unbedingt als 'links' zu bezeichnen. Viele laufen hier, wie gehabt,<br />
einfach der letzten Mode nach. Und dazu gehören vor allem jene literatutinteressierten<br />
Bürgersöhnchen <strong>und</strong> höheren Töchter, die es um 1967 168 lediglich schick oder<br />
zumindest .an der Zeit. fanden, sich auch einmal 'links' zu geben. Diese Gruppen <strong>und</strong><br />
Grüppchen waren dann auch die ersten, welche nach 1972 den neuen Subjektivitäts<strong>und</strong><br />
Verinnerlichungstendenzen folgten, die auf der heutigen Sponti- oder Alternativszene<br />
fast die Erscheinungsformen einer neuen Romantik angenommen haben. In diesen<br />
Bereichen ist man bei der Suche nach der 'verlorenen Seele' inzwischen bei der Verherrlichung<br />
einer schrankenlosen Spontaneität, ja Vernunft- <strong>und</strong> Wissenschaftsfeindlichkeit<br />
gelandet - ein Vorgang, der häufig als 'Paradigmawechsel' von Heine <strong>und</strong><br />
Börne zu Novalis <strong>und</strong> Hölderlin, von Hegel zu Nietzsehe, von Freud zu Lacan, von<br />
Marx zur anarchistischen Tradition hingestellt wird. Das zwangsläufige Ergebnis dieser<br />
Rückkehr zu längst totgeglaubten lebensphilosophischen <strong>und</strong> existentialistischen 'Haltungen'4<br />
ist in Weißnix- oder Tunix-Kreisen ein merklich angewachsener Narzißmus,<br />
der in extrem neutotischen Fällen zum Ausflippen in Seelenwanderungsglauben, Telepathie,<br />
Astrologie, Schamanismus <strong>und</strong> Mythengläubigkeit führen kann. Wenn diese<br />
Vertreter der 'Großen Weigerung' noch von Rebellion sprechenl, dann nicht mehr von<br />
einer Rebellion .gegen die Gesellschaft., sondern nur noch von einer gegen die ermüdenden<br />
.Pflichten. innerhalb dieser Gesellschaft 6<br />
Nun, wer den Schaden hat, braucht <strong>für</strong> den Spott nicht zu sorgen. Solche Mutationen<br />
gewisser linker Gruppen ins Anarchische haben es den Rechten selbstverständlich<br />
leicht gemacht, sich in ihren Zeitungen <strong>und</strong> Journalen über das Abflauen, ja Verschwinden<br />
des marxistisch orientierten Elans unbarmherzig lustig zu machen. Diese<br />
Leute stellen inzwischen alle spezifisch linken Tendenzen als 'veraltet', 'anachronistisch',<br />
'utopistisch' <strong>und</strong> damit 'unrealisierbar' hin, während sie die 'Neue Romantik'<br />
oder den 'Neuen Pessimismus' selbstverständlich als höchst begrüßenswert empfinden.<br />
Ein Autor der »Frankfurter Allgemeinen« ging dabei 1979 mit geheuchelter Biedermannsmiene<br />
so weit, den sich auflösenden <strong>Linke</strong>n - angesichts der fortschreitenden<br />
Verinnerlichungstendenzen - »Fahnenflucht«, »psychische Unstabilität« <strong>und</strong> »Charakterlosigkeit«<br />
vorzuwerfen. 7<br />
Wenn es auch an Perfidie grenzt, sich im Gefühl der Macht über die Schwachen zu<br />
mokieren, so ist doch an diesen Anschuldigungen leider einiges Wahre dran. Auch unter<br />
linken Germanisten - wie unter allen Gruppen der sogenannten freischwebenden<br />
Intelligenz - gibt es zwangsläufig solche, die sich wie eh <strong>und</strong> je den gewandelten<br />
Machtverhältnissen opportunistisch anpassen <strong>und</strong> der jeweils gängigen Mode folgen.<br />
Die Gescheiteren unter diesen Mitläufern stellen das selbstredend nicht als mod isch, ja<br />
nicht einmal als Anpassung, sondern - im Gegenteil - als 'zeitbewußt' , wenn nicht<br />
gar 'progressiv' hin. Dies sind jene, die bei allen Wandlungen des 'Weltgeistes' den anderen<br />
stets um eine Nasenlänge voraus zu sein glauben. So gibt es Vertreter der linken<br />
DAS ARGUMENT 12[/1980