Westeuropäische Linke und "dritter Weg" - Berliner Institut für ...
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440 Besprechungen<br />
sierung der Frage, warum gerade in unsrer gesellschaftlichen Situation, die wesentlich<br />
durch ihre Unvernunft gekennzeichnet ist <strong>und</strong> darum gleichsam in einer Regression in<br />
mythisches Denken wenigstens eine scheinhafte Synthesis sucht, <strong>und</strong> in unserer Geschichte,<br />
in der vor kaum einem halben Jahrh<strong>und</strong>ert unter dem Namen des 'Mythos<br />
des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts' mythisches Denken seinen Einzug nicht nur in die Politik vollzog,<br />
eine Wiederkehr bzw. eine .Gegenwärtigkeit des Mythos. zu konstatieren ist.<br />
Konsequenterweise ist denn auch die Frage nach den Opfern mythischen Denkens<br />
kaum berührt, in einem Beitrag sind diese sogar in ein »sacrificium mythorum« (48)<br />
verkehrt. Ich kann in dem mir hier zur Verfügung stehenden Raum nur auf die bedenklichsten<br />
Tendenzen eines Gutteils der Beiträge, die ich als Symptom eines zur Zeit wieder<br />
in Gang befindlichen Unternehmens ansehe, nämlich: .denkend das Denken aufzuheben«<br />
(vgl. P. Tillich, Werke II, 264), eingehen; andere Beiträge, wie der von W.<br />
Burkert über mythisches Denken, der von H.G. Meier über Orte neuer Mythen <strong>und</strong> der<br />
von Chr. Hubig über die .Dialektik der Aufklärung. erforderten jeweils eine selbständige<br />
Besprechung.<br />
Hartrnut Zinser (Berlin / West)<br />
Piga, Francesco: Il Mito deI Superuomo in Nietzsehe e D'Annunzio.<br />
Vallecchi editore, Firenze 1979 (171 S .. br., Lire 4500).<br />
Die Begeisterung <strong>für</strong> das Konzept des Übermenschen war eines derjugenderlebnisse<br />
Mussolinis. Der Boden war vorbereitet durch die Rezeption Nietzsches durch D' Annunzio.<br />
Der Verfasser stellt die Geschichte der .Anwendung« Nietzsches als Fälschungsgeschichte<br />
dar, seine Intentionen liegen im Nachweis der Mißverständnisse<br />
D' Annunzios, angefangen von simplen Übersetzungsfehlern, <strong>und</strong> weniger in der Entwicklung<br />
der Notwendigkeit dieser Mißverständnisse <strong>und</strong> Verfälschungen, er betont<br />
den Bruch zwischen Nietzsehe <strong>und</strong> seinen Nachfolgern, nicht die Kontinuität. Zentral<br />
sieht er zunächst die Metamorphose der Übermenschen zum Aristokraten; .superuomo«<br />
<strong>und</strong> .gentiluomo« sind die beiden Pole seiner Interpretation. Er beschreibt den<br />
Prozeß der Veräußerlichung jener spezifischen deutschen Innerlichkeit, als deren letzten<br />
<strong>und</strong> militant gewordenen Vertreter er Nietzsche sieht. Der Held D'Annunzios ist<br />
Übermensch vermöge der Geschlossenheit seiner Erscheinung. Es genügt, sich die Interieurs<br />
eines beliebigen Romans D' Annunzios zu vergegenwärtigen, um diesen perfekt<br />
<strong>und</strong> theatralisch arrangierten Schein als Käfig zu erkennen. In .ll piacere« leidet<br />
der Held noch unter dem Druck der erlesenen Gegenstände, die er um sich angehäuft<br />
hat. In späteren Romanen, eben unter dem Einfluß Nietzsches, wie der Verfasser nachweist,<br />
verschwindet diese Spur: der Käfig wird zur Falle. Erst später bezieht die Figur<br />
D'Annunzios von den erlesenen Dingen die eigene Erwähltheit, während es doch bei<br />
Nietzsche gerade die jeden Schein verschmähende Unabhängigkeit des .freien Geistes«<br />
war. Zarathustra schrieb mit dem eigenen Blut, Cante1mo, ein .Übermensch« D' Annunzios,<br />
mit dem seiner Opfer.<br />
D' Annunzio teilt Nietzsches tragisches Selbstbewußtsein, seine Figuren sind Sterbende,<br />
sie begreifen sich als .Ietzte Vertreter eines uralten Geschlechts« (Il piacere),<br />
aber sie schicken die anderen in den Tod voraus. D'Annunzio nimmt seine Zeit als die<br />
des Untergangs der aristokratischen Traditionen unter dem Einfluß des neuen Bürgertums<br />
wahr. Die neue Klasse des Bürgertums benötigt, sobald zur Macht gelangt, eben<br />
diese Tradition zur Selbstrechtfertigung. So reflektiert sich in D' Annunzios Romanen<br />
die Antinomie de; bürgerlichen Geschichsbewußtseins; als traditionszerstörende Kraft<br />
tritt das Bürgertum auf, um nach dem Machtwechsel sofort dieselbe Tradition, aber als<br />
zerstörte, als Anschauungs- <strong>und</strong> Genußobjekt, als Raffinesse, wieder heraufzubeschwören.<br />
Nietzsches Übermensch, selbst Natutwesen, träumte von einer Auferstehung der<br />
Natur, D'Annunzio jedoch setzt den Schein als Gegennatur, nämlich als Dekadenz.<br />
Soweit stellt der Verfasser die Wirkungsgeschichte dessen, was er als Nietzsches ethinb.f:TTMFNT l?lJl{)HO ,:c~