Westeuropäische Linke und "dritter Weg" - Berliner Institut für ...

402 DierkJoachim und Uwe Naumann
moralisierenden »Opferpädagogik« mißachtet, die im Vertrauen auf heilende Wirkung
die Schrecken des Faschismus demonstriert und nicht bedenkt, daß aufgrund positiver
Teil-Affizierungen im Bewußtsein (z.B. Hitler als Beseitiger der Arbeitslosigkeit) Jugendliche
zu Abwehrreaktionen neigen. Aus diesen Abgrenzungen folgen positive Bestimmungen,
die - beim gegenwärtigen Stand der Diskussion notwendig - allgemein
bleiben:
Da das Alltagsbewußtsein der Schüler historisch-hermeneutischer und ideologiekritischer
Aufklärung gegenüber relativ resistent ist (Paul, 191f., 20M.) und an Mythen und
Halbwissen festhält (jüngst von D. Boßmann dokumentiert, aber nicht in seiner Funktion
eingehend untersucht), kommt es darauf an, durch Selbstreflexionsprozesse diese
Vorurteilsstrukturen zu beeinflussen und diejenigen Bedingungen zu verändern, aus
denen die Vorurteilsbedürfnisse Jugendlicher etwachsen. Konkretisierungen für den
Bildungsbereich sind dabei:
- der Zugang zur Geschichte ist über Personalitlit (H.J. Gamm) zu erreichen, die Allgemeines
in individueller Brechung nachvollziehbar und erfahrbar macht;
- Geschichte muß nach »unten« (zum »kleinen Mann« hin) sich öffnen;
- in der Auseinandersetzung mit Lokalgeschichte können Jugendliche die Geschichtlichkeit
ihrer eigenen Umgebung in Projekten (wie Interviews mit Beteiligten) entdecken
(beispielhaft werden hier die Antifaschistischen Stadtrundfahrten des Landesjugendringes
Hamburg genannt);
- Unterhaltsamkeit (im Sinne eigenen Beteiligtseins, Interesse und Freude) soll gewährleistet
sein, die Arbeit soll ein Aufsteigen vom Konkreten zu Verallgemeinerungen
ermöglichen.
Fokussiert werden die auf das ganze Individuum und die Veränderung seiner Lebenssituation
gerichteten Überlegungen in der Forderung, die »Erfahrung von Demokratie
und Solidarität« (Paul, 195; vgl. Meyer/Rabe, 160) praktisch zu ermöglichen. Welche
Erfahtungsdimensionen dies umgreifen kann und wie sehr dabei vom wohlmeinenden
antifaschistischen Missionseifer abgerückt werden muß, deutet sich in B. Schoßigs provokativer
Zuspitzung an:
.Unter Umständen ist eine Kajak-Fahrt, am Wochenende im Rahmen einerjugendgruppe oder
von einem Jugendzentrum organisiert, wirksamer und politischer hinsichtlich einer Motivierung
zu 'antifaschistischen Einstellungen' als ein 'verkopftes' Wochenendseminar.. (Paul!
Schoßig, 220).
Besprochene Literatur
Neofaschismus. Die Rechten im Aufwind. Hrsg. von der GEW, Landesverband Berlin, vom Bund
politisch, rassisch und religiös Verfolgter undJan Peters. Sozialpolitischer Verlag SPV und Das
Arsenal, Verlag für Kultur und Politik, Berlin/West 1979 (313 5, br. , 13,~ DM).
Meyer, Alwin, und Karl-Klaus Rabe: Unsere Srunde die wird kommen. Rechtsextremismus unter
Jugendlichen. Lamuv Verlag, Bornheim-Merten 1979 (286 5., br" 16,80 DM).
Paul, Gerhard, und Bernhard Schoßig (Hrsg.): Jugend und Neofaschismus. Provokation oder
Identifikation) Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt/M. 1')79 (232 5., br., 19,80 DM).
Pomorin, Jürgen, und ReinhardJunge: VorwärtS, wir matschieren zurück. Die Neonazis, Teil 11.
Weltkreis-Verlag, Dortmund 1979 (199 5., br., 9.80 DM).
DAS ARGUMENT 121lllJHO Ce)