Westeuropäische Linke und "dritter Weg" - Berliner Institut für ...
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Das gemeine Lied der Liebe 407<br />
des Mitmenschlichen ist. Der linksliberale Redakteur, der mit der lügnerischen Devise<br />
.Bei uns ist alles erlaubt« nach Hause kommt, angelesene Sexualpraktiken ausprobiert<br />
wie Eis am Stiel <strong>und</strong> sich dabei emanzipiert wähnt, macht den Beischlaf zur Klempnerei<br />
<strong>und</strong> zollt denselben Tribut. Wenn Menschen miteinander umgehen, als seien sie generalisierte<br />
Geschlechtswerkzeuge, entmenschlichen sie Sinnlichkeit <strong>und</strong> Sexualität auf<br />
ein weiteres. Die heutigen Partner, die einander .alles gestatten., haben den Kampf<br />
um Liebe wider das honigsüße Klischee, um solidarische Treue wider die herrschende<br />
Praxis schon lange verloren. Sie handeln auf der Höhe der Unmoral: aufreißen, auslutschen,<br />
eintauschen, wegschmeißen. Wollen sie das nicht wahrhaben, müssen sie leugnen<br />
<strong>und</strong> lügen. Das nimmt immer ein böses Ende.<br />
Die Psychoanalyse meint, manchen von uns immer wieder mit ihrem Postulat der<br />
.genitalen«, der .reifen« Liebe beunruhigen zu müssen. Doch ihre .genitale. Liebe gibt<br />
es im Leben nicht. Aber sie hat recht: Liebe ist nicht einfach da wie die Begierde. Sie<br />
muß ständig, ununterbrochen, unermüdlich erlernt, erarbeitet, in Beziehungen gehalten<br />
werden - als der Versuch zweier Menschen, einander jene Bedürfnisse zu befriedigen,<br />
die lebensgeschichtlich verbogen <strong>und</strong> gesellschaftsgeschichtlich zum Unding geworden<br />
sind.<br />
Ich weiß: Mitmenschliches unter den herrschenden Lebensbedingungen suchen,<br />
heißt objektiv, das gesellschaftliche Unding Liebe immer wieder in seiner seelischen<br />
<strong>und</strong> sozialen Zwangsgestalt errichten, als verdinglichtes. Der hiesigen Gesellschaftsformation<br />
ist Liebe wesensfremd. Zwei Hindernisse stehen obenan: Erstens das Prinzip des<br />
Ganzen samt der Struktur der Mutter-Kind-Beziehung samt der Art <strong>und</strong> Weise der<br />
Kinderaufzucht mit ihren Resultaten. Zweitens - also nicht erstens - die zusätzliche<br />
psychosoziale Erniedrigung der Frau durch den Mann. Hinzu kommen die Tyrannis der<br />
sogenannten Heterosexualität, Lug <strong>und</strong> Trug der Alternativgeschlechtlichkeit, der<br />
Pompe funebre um den Triebdurchbruch usw. usf.<br />
Die individuelle Geschlechtsliebe ist eine Idee, die bisher nicht verwirklicht werden<br />
konnte, weil die eigentliche Menschheitsgeschichte noch nicht begonnen hat. Sie ist eine<br />
junge, instabile Fähigkeit des Menschen, derer er in menschlichen Verhältnissen<br />
nicht wird entraten wollen. In ihr überwintert Humanität. Was sie wirklich vermag,<br />
werden wir vielleicht einmal wissen - jenseits einer Gesellschaft, in der der Heißhunger<br />
des Kapitals alles Menschliche verschlingt, in der der Geschlechterkampf den politischen<br />
zusätzlich zerfleddert. Nicht <strong>für</strong> Lohnarbeit <strong>und</strong> Sexwellen, nicht <strong>für</strong> Plastik <strong>und</strong><br />
Spülmittel, nicht <strong>für</strong> Bombe <strong>und</strong> KKW fließt das Blut der Menschen seit dem Feudalismus.<br />
Die sozialen Bewegungen haben immer auch um die Werte gekämpft, die die Liebe<br />
umschließt. Nicht nur des Hungers wegen hat es Revolutionen gegeben.<br />
Und wenn sich der Hofh<strong>und</strong> von der Kette reißen wird, wird die Idee der Liebe vielleicht<br />
das sein, was sie uns seit Generationen zu sein verspricht: Losung <strong>und</strong> eine Kraft,<br />
die revolutioniert. Derweil aber bleibt uns nur, ihr Lied zu singen, mal hoch, mal nieder<br />
<strong>und</strong> immer das allgemeine, zu stammeln, zu hoffen <strong>und</strong> zu kämpfen: um unsere<br />
Liebe heute - <strong>und</strong> morgen um die, die des Menschen ist.<br />
DAS ARGUMENT 121/1980 ©