Westeuropäische Linke und "dritter Weg" - Berliner Institut für ...
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Krisenverarbeitung im Alltag 425<br />
ist - entgegen kurzschlüssig-ideologiekritischem Verdacht - ein positives Faktum, bedeutet<br />
sie doch Entwicklung von Eigeninitiative, Phantasie, Handlungskompetenz. Die<br />
Gefahr ist kulturelle Praxis als Politik-Ersatz. Zu befördern ist die Totalisierung kulturellen<br />
Anspruchs auf alle Lebensbereiche, keinesfalls jedoch der untaugliche Versuch,<br />
Kultur als Trojanisches Pferd der Politik zu mißbrauchen.<br />
- Dringendstes <strong>und</strong> aktuellstes Desiderat ist die Untersuchung / Selbstdarstellung<br />
der .neuen Gegenkultur«, ihrer Öffentlichkeit, der Zentralbegriffe ihrer Ästhetik wie<br />
.Betroffenheit«, .Authentizität«, .Erfahrung«, .Unmittelbarkeit« in der Perspektive.<br />
den Zugewinn, den diese Sichtweise <strong>für</strong> selbstbestimmte Praxis bringt, zu umreißen,<br />
zugleich aber die blinden Stellen zu orten. D.h. auch, die Ideologie in der Gegenkultur<br />
dingfest zu machen.<br />
- Zu untersuchen wäre auch die Widersprüchlichkeit der tatsächlichen gegenwärtigen<br />
Arbeiterkultur. D.h. nicht Suche nach einer autochthonen, .reinen« proletarischen<br />
Kulturpraxis, sondern Entdeckung kultureller Elemente im Vereinswesen, im Schrebergarten,<br />
selbst noch im Fußball, in der Jogging-Bewegung etc.<br />
- Untersuchung des Angebots ästhetisch / kulturkritischer Haltungen von oben:<br />
Neue Varianten des Absurdismus; Sinnlosigkeit vom Selbstmord bis zum Non-Sense;<br />
die Welt als erlebte, phantastisch romantisierte, nicht mehr als veränderbare. Renaissance<br />
des Mythos, Absage an Vernunft <strong>und</strong> Aufklärung, entsprechende Umorganisierung<br />
des Geschichtsbilds. Interessant dabei die modellierende Aufnahme alternativer<br />
oder linker Überlegungen; die Hilflosigkeit der Aufklärer. Der Trend, der die schon<br />
nicht mehr neue Subjektivität ablöst: die Ästhetisierung. Wohn-, Kneipen- <strong>und</strong> Literaturkultur<br />
der <strong>Linke</strong>n ebenso wie die Kleidungsgewohnheiten der Frauenbewegung<br />
auch hier ein Vorbild, Habitus von .Popper-Gruppen«, von .Schüler-Dandys., eines<br />
der massenhaften Resultate.<br />
- Ein anderer Strang: Das Ende der vag-emanzipatorischen .Suhrkamp-Kultur«.<br />
Verlust der Vorherrschaft kritischer Theorie auf Teilen des Buchsektors, in den R<strong>und</strong>funkanstalten,<br />
in den Feuilletons. Was tritt an die Stelle?<br />
- Umsetzung solcher differenzierter Strategien <strong>für</strong> kulturelle Eliten in .massenkulturelle«<br />
Veranstaltungen <strong>und</strong> Formen: der Katasttophenfilm z.B. nimmt den Protest<br />
gegen unkontrollierte Lebensbedingungen auf <strong>und</strong> richtet ihn zugleich gegen das wichtigste<br />
Mittel der Abhilfe: die Vetwissenschaftlichung des Alltags. Vermittels der Dämonisierung<br />
von Wissenschaft wird dem Protest Nahrung verschafft <strong>und</strong> zugleich die Spitze<br />
gebrochen. (Einübung in die Krise im vielfältigen Zelebrieren von Gewalt, Tod, Untetwerfung<br />
unter dunkle Mächte).<br />
Generell ist zu beachten, daß sich auf dem Kunst/Kultursektor der Umschlag von<br />
Kultur in Ideologie besonders leicht <strong>und</strong> unauffällig vollzieht. Die ModelIierung der<br />
Ideen <strong>und</strong> Praxen in solchen Metamorphosen ist zu untersuchen, um ideologischen<br />
Strategien der Enteignung der Kultur schon in ihrer Anlage begegnen zu können.<br />
Krankheit als Normalzustand<br />
- Wie verändert sich unter dem Druck wachsender Probleme ohne Lösungen die gesellschaftliche<br />
Bedeutung / Anordnung von Ges<strong>und</strong>heit / Krankheit? Zunahme von psychischen<br />
<strong>und</strong> .Volkskrankheiten •. Die Unterscheidung Kranke! Ges<strong>und</strong>e ist infragegestellt,<br />
zugleich gelingt die Reduktion des Leidens auf den Körper <strong>und</strong> auf das Symptom<br />
nicht mehr wie früher. Es kommt in den Blick, daß Krankheit eine Unmöglichkeit/Unfähigkeit<br />
ist, unter diesen Bedingungen zu leben. Auf der anderen Seite verschärft sich<br />
die strukturelle Überforderung des Arztes, das Arzt-Bild bröckelt ab (.Halbgötter in<br />
Weiß.). Kunstfehlerskandale .<br />
- Krise des Heilens, Kostenkrise <strong>und</strong> Strukturkrise des Ges<strong>und</strong>heitssystems, Krise<br />
des Arztbildes.<br />
DAS ARGUMENT 12111980 ©