Westeuropäische Linke und "dritter Weg" - Berliner Institut für ...

356 Walfgang Fn'tz Haug
Kohäsivkräften tritt an die Stelle der nichtfaschistischen, bürgerlich-liberalen Form der
ideologischen Hegemoniebildung. Wenn Walter Benjamin sagt, der Faschismus lasse
die Massen zu ihrem Ausdruck kommen, aber nicht zu ihrem Recht, so ist - wenn
auch als .Ausdrucke mißverstehbar - diese integrative Bildung des faschistischen Diskurses
angezielt. - Wenn wir sagten, alles Mögliche werde integriert, so ist dies nur
mit Einschränkungen richtig. Kohäsivkräfte und Wiedererkennungslernente der traditionellen,
übers Volk erhabnen Bildungselite werden vernachlässigt und zum Teil sogar,
zugunsten popular-demokratischer Diskursteile, abgestoßen.
24. Die Frage, ob die Organisatoren des Ideologischen - wie z.B. Hitler - innerhalb
oder außerhalb des faschistischen Diskurses stehen, wird auf diese Weise unerheblich.
( ... ) Um ihre Wirkung zu erklären, ist es nicht notwendig, sie als außerhalb stehend,
also .falsche und bewußt .fälschend. zu denken. Wir können ihre Praxis auch so
denken, daß sie innerhalb des faschistischen Diskurses mit List und Tücke am ideologischen
Material arbeiten, je nach Bedarf und Fähigkeit opportunistisch, diplomatisch,
verschlagen, vermittelnd usw. mit den Repräsentanzen ideologischer Mächte arbeitend
usw.
25. Der.faschistische Diskurs verändert die Anordnung und Kompetenzabgrenzung
der ideologischen Mächte. Zugleich führt er zur Umordnung ihrer inneren Wertehierarchien.
Die Form, in der dies geschieht, muß als vielfältiges .Tauziehen. in einem Beziehungsnetz
vieler Instanzen gedacht werden. Die Grundlage der ideologischen Kräfteverhältnisse
ist die Allgegenwart potentieller Gewaltausübung durch die Gestapo, die
über alle Kompetenzgrenzen hinweg in allen Bereichen unmittelbar Zugang hat. Auf
dieser Grundlage organisiert Hitler den politisch-ideologischen Diskurs als sein asymmetrisches
Unterstellungs-Wechselverhältnis zu den ideologischen Mächten: Er macht
sich zum Ausleger ihrer höchsten Idealisierungen, denen er sich und das ihm unterstellte
VOLK zugleich selbst unterstellt. Dann ruft er die ideologischen Mächte an, sich
dem VOLK und damit dem FÜHRER zu unterstellen.
26. Der Faschismus versucht, die relative Selbständigkeit der ideologischen Apparate
und Praxen zu verringern, z.T. sogar ganz einzuziehen. Die ideologischen Mächte verteidigen
ihre Selbständigkeit, indem sie ihre je spezifischen sozialtranszendenten
Mächte beschwören und die darauf bezogenen Rituale im Alltag zu intensivieren versuchen.
Die ideologischen Wirkungszusammenhänge sind daher zu untersuchen als ein
Feld komplexer gegensätzlicher Aktivitäten.
Literaturverzeichnis
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Gramsci, in: PIT 1979.
Feuerbach, Ludwig, 1956: Das Wesen des Christentums. Berlin/DDR.
Lukacs, Georg, 1%8: Werke. Frühschriften 11. Neuwied und Berlin/West.
Nemitz, Ralf, 1979: Ideologie als .notwendig falsches Bewußtsein« bei Lukacs und der Kritischen
Theorie, in: PIT 1979.
Opitz, Reinhard, 1974: Über die Entstehung und Verhinderung von Faschismus, in: Argument
87 (Reprint als Argument·Studienheft in Vorbereitung).
Projekt Ideologie-Theorie (PIT), 1979: Theorien über Ideologie. Argument·Sonderband AS 40,
Berlin I West.
DAS ARGUMENT 12N1980 ©