Westeuropäische Linke und "dritter Weg" - Berliner Institut für ...
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Probleme der Zusammenarbeit in der westeuropäischen <strong>Linke</strong>n 329<br />
üben <strong>und</strong> folglich der Quellen <strong>und</strong> Formen der Macht. Die Frage entsteht weniger aus<br />
einem theoretischen Streit heraus, als aus bestimmten Modifikationen, die in den letztenJahrzehnten<br />
in der spätkapitalistischen Gesellschaft stattgef<strong>und</strong>en haben, sowie aus<br />
den Wandlungen <strong>und</strong> der Widersprüchlichkeit der sozialen Subjekte, die aus diesem<br />
T ransformationsprozeß hervorgegangen sind.<br />
Wir befinden uns heute in Italien in einer Art von kapitalistischer Gesellschaft, in<br />
der man nicht mehr von einer linearen Polarisierung der Klassen <strong>und</strong> sozialen Schichten<br />
sprechen kann, die am Anfang des Kapitalismus die Gesellschaft in zwei klar unterscheidbare<br />
Gruppen geteilt hatte, wo es zwei einander radikal entgegen gestellte Kulturen<br />
gab, die untereinander überhaupt keine Verbindung hatten, in der die sozialen<br />
Blöcke von Ideologien geprägt waren (im Sinne von Weltanschauungen), oder - um<br />
mit einer Metapher zu sprechen - wo sie religiös waren.<br />
Von den Erfahrungen in meinem Lande ausgehend, kann man sagen, daß sich die Situation<br />
geändert hat. Den Anstoß zum Veränderungsprozeß bildeten jene Kämpfe, die<br />
wir <strong>für</strong> den Fortschritt in unserem Lande geführt haben. Einen weiteren Beitrag dazu<br />
leistete die fortSchreitende .Iaizistische. Auffassung von Gesellschaft, ihrer Konflikte<br />
<strong>und</strong> ihrer Politik. Die Konflikte zwischen Stadt <strong>und</strong> Land sind heute bei uns wesentlich<br />
geringer. Man kann nicht mehr von einer linearen Abgrenzung der sozialen Rollen<br />
sprechen: Heute geht ein Metallarbeiter nicht nur zusätzlich einer zweiten Beschäftigung<br />
außerhalb des Betriebes nach, er arbeitet in seiner Freizeit überdies in der Landwirtschaft.<br />
Schwarzarbeit, Gelegenheitsarbeit, Heimarbeit, Teilzeitarbeit - <strong>und</strong> dies<br />
alles nicht nur unter der Masse der Frauen - war eine Folge ausgeklügelter Maßnahmen<br />
der Unternehmer, <strong>und</strong> war weit verbreitet. Vor allem haben sich die Bedingungen<br />
<strong>für</strong> die Jugendlichen geändert: sie verbleiben oft weit bis über das 20. Lebensjahr hinaus<br />
im Unterrichtsprozeß, in einem Schulsystem, das sich in einer schweren Krise befindet<br />
<strong>und</strong> das vom Produktionsprozeß völlig losgelöst ist. Diese Jugendlichen lehnen die<br />
körperliche Arbeit <strong>und</strong> die Zersplitterung des Arbeitsprozesses, die sie als Entfremdung<br />
empfinden, ab. Sie akzeptieren hingegen Gelegenheitsarbeit <strong>und</strong> das illusorische Warten<br />
auf eine feste Anstellung, in der sie aber weder Würde noch Ideale sehen. Die Familien,<br />
bzw. der Vater, der oft doppelte <strong>und</strong> dreifache Arbeit leisten muß, bieten ihnen<br />
die einzige Unterstützung in diesem chaotischen <strong>und</strong> unsicheren Leben. Warum<br />
sind wir überrascht, wenn das Verhältnis zu diesen neuen Generationen schwieriger geworden<br />
ist?<br />
Solche Phänomene gibt es heute in vielen westlichen Ländern. Ich glaube aber nicht,<br />
daß wir deshalb die Gesellschaft als ein Chaos von Fragmenten ansehen müssen. Ich<br />
bringe auch jenen soziologischen Strömungen keine Sympathie entgegen, die die Existenz<br />
von Klassen negieren <strong>und</strong> die Gesellschaft als eine ungeheure, fluktuierende Gesamtheit<br />
von .Interessen. betrachten. Sie begreifen die Parteien als technokratische Organe<br />
<strong>für</strong> staatliche Vermittlung <strong>und</strong> Verwaltung <strong>und</strong> reduzieren sie dadurch auf Staatsapparate.<br />
Trotzdem sollten wir uns im Klaren sein, daß das gesellschaftliche Leben viel<br />
komplizierter geworden ist <strong>und</strong> viele politische Gruppen sehen sich mehr <strong>und</strong> mehr außer<br />
Stande, die verschiedenen Klassen ideologisch zu vereinheitlichen. Beim Betrachten<br />
vieler Arbeiter <strong>und</strong> auch uns selbst fällt mir auf, daß die einzelnen Menschen, ja selbst<br />
die militanten Arbeiter, mehr <strong>und</strong> mehr <strong>für</strong> sich selbst leben, in ihrer eigenen Gedankenwelt,<br />
im Konflikt mit verschiedenen Kulturen.<br />
Gerade im Rahmen einer Gesellschaftsveränderung <strong>und</strong> einer Veränderung der Ar-<br />
DAS ARGUMENT 121/1980 Cf)