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Westeuropäische Linke und "dritter Weg" - Berliner Institut für ...

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Thesen zur gegenwärtigen Situation der Germamstik 413<br />

nicht nur eine erste <strong>und</strong> zweite, sondern auch eine 'dritte' Sache, nicht nur eine persönliche<br />

Betroffenheit oder Selbstaufklärung, sondern auch eine wirkliche Aufklärung,<br />

nicht nur eine moralische Integrität innerhalb des unmittelbaren Lebenszusammenhangs,<br />

sondern auch ein 'eingreifendes Denken'.<br />

Doch wie läßt sich ein solcher Aktivismus, der über den eigenen auch die Belange der<br />

anderen nicht vergißt, heute überhaupt noch praktizieren? Zum einen, indem man unentwegt<br />

auf das alte bürgerlich-revolutionäre Versprechen von .Freiheit, Gleichheit,<br />

Brüderlichkeit« <strong>und</strong> die Nichteinlösung dieses Versprechens in der politischen, sozialen,<br />

ökonomischen wie auch kulturellen Wirklichkeit der heutigen BRD-Gesellschaft<br />

hinweist. Im Sinne dieser These ließe sich die Literaturgeschichte weiterhin als eine<br />

Wissenschaft der .in dieser Gesellschaft subjektiverfahrbaren Widersprüche« definieren,<br />

die nicht nur ein allgemeines, sondern ein .brauchbares« Unbehagen erzeugt."<br />

Zum anderen, indem man nicht nachläßt, auf die verschütteten Traditionen einer progressiven<br />

Arbeiter-, Frauen-, Kinder- <strong>und</strong> Minderheitenliteratur hinzuweisen <strong>und</strong> zugleich<br />

sorgfältig zu sondieren, was sich aus diesen Bereichen in eine mögliche Gegenöffentlichkeit<br />

zur kommerziellen U -Literatur, also in Formen einer A-Literatur (Allgemein­<br />

Literatur) einbringen läßt. Doch darüber brauchen wohl keine überflüssigen Worte verloren<br />

zu werden. Das sollte inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden sein.<br />

Viel problemgeladener ist dagegen die Frage nach der Funktion der sogenannten 'E­<br />

Literatur', vor allem der älteren, die von den kulturrevolutionären Radikalinskis der<br />

späten sechziger Jahre nur allzu schnell über Bord geworfen wurde. Diese Literatur einfach<br />

zu übersehen <strong>und</strong> sie damit im Rahmen des staatlich institutionalisierten Literaturunterrichts<br />

widerstandslos den Rechten zu überlassen, wäre kurzsichtig, ja töricht.<br />

Denn gerade die 'progressiven' Elemente dieser Literatur dürfen nicht verloren gehen,<br />

wenn wir nicht eines Tages ohne Legitimation, ohne Stafette, ohne historische Schubkraft<br />

dastehen wollen. Nichts wäre falscher, als den Rechten die bisherige Hochliteratur<br />

einfach zu schenken, die breiten Massen mit der gängigen U-Literatur mehr oder weniger<br />

allein zu lassen - <strong>und</strong> sich selber nur <strong>für</strong> irgendwelche alternativen 'Lebenszusammenhänge'<br />

zu interessieren, die zwar im einzelnen ganz konkret sein mögen, aber wenig<br />

oder nichts zur Änderung der allgemeinen Verhältnisse beitragen. Denn erst den<br />

Einzelmenschen <strong>und</strong> dann das System ändern zu wollen - diesen idealistischen Trugschluß<br />

hat man schon an Schillers Einstellung zur Französischen Revolution oft genug<br />

gerügt.<br />

Wohlgemerkt: man gebe sich dabei nicht der vorschnellen Hoffnung hin, als LiteraturwissenschaftIer<br />

die Welt verändern zu können. Literatur allein verändert nichts -<br />

was nicht gegen die These spricht, daß man mit ihrer Hilfe etwas zu den als wünschbar<br />

erkannten Änderungen beitragen kann. Denn völlig wird auch der böseste Kapitalismus<br />

nicht auf 'Kunst' verzichten können, ohne sich als ein rotal menschenunwürdiges<br />

System zu entlarven. Hier steckt also selbst <strong>für</strong> Germanisten noch immer eine Chance,<br />

aktiv zu werden. Und zwar geht das, wie gesagt, am leichtesten, wenn man die kulturellen<br />

Ungleichheiten innerhalb unserer Gesellschaft, die zu ihrer politischen Legitimation<br />

gern als durch <strong>und</strong> durch 'homogen' hingestellt wird, so kraß wie möglich akzentuiert.<br />

Schließlich ist die Kluft zwischen E- <strong>und</strong> U-Literatur in den letzten Jahrzehnten<br />

nicht kleiner, sondern eher größer geworden. Weisen wir deshalb auch auf dem Sektor<br />

der Literatur ständig auf das Ideal einer Gesellschaft hin, in der man auf der einen Seite<br />

nicht an Überfülle <strong>und</strong> auf der anderen nicht an Unterernährung zu leiden hat.<br />

DAS ARGUMENT 12111980 ©

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