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Westeuropäische Linke und "dritter Weg" - Berliner Institut für ...

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Kunst <strong>und</strong> Kulturwissenschaften 451<br />

sehprogramm kaum audiovisuelles Material erhalten blieb <strong>und</strong> sich der Autor mit den<br />

in der Presse ausgedruckten Programmvorschauen behelfen muß, nicht nur, weil über<br />

die tatsächliche Rezeption dieses auf Berlin beschränkten Gemeinschaftsfernsehens so<br />

gut wie nichts bekannt ist (<strong>und</strong> auch der Aufruf des Autors nach 'Augenzeugen' unbeantwortet<br />

blieb), sondern weil auch die Fülle der einzubeziehenden Faktoren bestenfalls<br />

paradigmatisch beleuchtet werden kann <strong>und</strong> nötige Vermittlungsschritte ausgeblendet<br />

bleiben, Allzu bereitwillig greift der Autor dann zu rhetorischen Figuren, zu<br />

itonisch gefärbten Verkürzungen, zu salopp-satirischen Schlenkern oder zum personalisierenden<br />

'Statuieren' von Exempeln: Laie Andersen z,B, als Prototyp des unpolitischen<br />

Unterhaltungskünstlers, der allenfalls einen .gezwinkerten Widerstand« wagte,<br />

oder Paul Nipkow .als seniler Rentner« von den Nazis zum .reinrassig deutschen<br />

Fernseh -Genius« stilisiert <strong>und</strong> ideologisch vetwertet (62).<br />

Solch verbalinjuriöses Abrechnen, das sich das Einverständnis erheischen soll, daß die<br />

Nazi-Führung sowohl die .in den Kommunikationsmitteln angelegten Möglichkeiten<br />

seiner kulturellen Handhabung. als auch die .materiell-technische Vorarbeit kommunikativer<br />

Innovationen - wohl objektiv ausweglos - verkommen lassen mußte« (78),<br />

schmälert die Glaubwürdigkeit <strong>und</strong> wissenschaftliche Dignität dieser erstmalig umfassenden<br />

<strong>und</strong> überaus materialreichen Fernsehgeschichte - mindestens in den Augen<br />

des 'uneingeweihten' Lesers. Aber was hier in gewiß mühsamer Archivarbeit, unterstützt<br />

von zahlreichen Fotos, über das damalige Fernsehprogramm zusammengetragen<br />

wurde, hätte einen größeren Leserkreis verdient: In den zwei Hauptkapiteln zeichnet<br />

Reiss nicht nur die Konturen des Programms, porträtiert er nicht nur mittels Selbstdarstellungen<br />

<strong>und</strong> Erfahrungsberichten einzelne Sendungen <strong>und</strong> schildert er die konkrete<br />

Programmarbeit, sondern versucht auch durch einfache Statistiken bestimmte Verteilungen<br />

<strong>und</strong> Kontinuitäten im Programm herauszuarbeiten. Ob sich mit diffizileren<br />

Methoden jemals noch die Ausformung einzelner Programmgenres im wechselseitigen<br />

Kontext mit anderen Kulturbereichen (Film, Theater, Unterhaltungskunst) rekonstruieren<br />

läßt? Reiss gibt darüber keine Auskunft, weder über ein solches Erkenntnisinteresse<br />

noch über die Ergiebigkeit des Materials; ihn beschäftigt doch immer wieder die<br />

propagandistisch-ideologische Funktion des Fernsehens. Aber was da in den <strong>Berliner</strong><br />

Fernsehstuben <strong>und</strong> Großprojektionsräumen (Fernsehkinos) <strong>und</strong> später auch im Pariser<br />

.Magic City. zunächst <strong>für</strong> das gemeine Publikum, seit Kriegsbeginn nur noch <strong>für</strong> Soldaten<br />

<strong>und</strong> Vetw<strong>und</strong>ete zur ideologisch-psychologischen Aufrüstung mit unterschiedlicher<br />

Qualität <strong>und</strong> Umfänglichkeit präsentiert wurde, war getreu dem Goebbels-Wort<br />

von der .Erholung, Unterhaltung, Entspannung« größtenteils Unterhaltung, blieb bis<br />

auf wenige Ausnahmen .Amüsier- <strong>und</strong> Animier-Fernsehen« (158), während sich der<br />

politisch-propagandistische wie auch der kulturelle Sendeanteil in den engen Grenzen<br />

von meist weniger als 20 % hielten. Propagandistische Höhepunkte wie die Live-Übertragung<br />

der Olympischen Spiele von 1936 wurden dem Fernsehen <strong>und</strong> seinen r<strong>und</strong><br />

10000 Zuschauern pro Monat selten zuteil.<br />

So bleibt das medienpolitische Kalkül der Nationalsozialisten durch das gesamte<br />

Buch hindurch widersprüchlich oder eigentlich ungeklärt. Offenbar war ihnen die<br />

Fernseh-Propaganda (als 'Beweis' der technisch-wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des<br />

Systems) wichtiger als das Propaganda-Fernsehen als ideologisches Kampf- <strong>und</strong> Lenkungsmittel,<br />

sieht man einmal von den übersteigerten Visionen der militärischen Verwendbarkeit<br />

des Fernsehens (Verkabelung <strong>und</strong> Feindaufklärung) ab. Daß indes die gesamte<br />

Forschung <strong>und</strong> Entwicklung im Elektrobereich vornehmlich der Kriegsvorbereitung<br />

diente, steht wohl außer Frage. Die Elektroindustrie drängte jedenfalls auf eine<br />

baldige Massenvetwertung der neuen Kommunikationstechnik, um die investierten<br />

Kapitalsummen zu amortisieren <strong>und</strong> den technischen Vorsprung auf dem Weltmarkt<br />

zu verteidigen (der unmittelbar nach Kriegsende wieder eingelöst wurde). Publizisti-<br />

DAS ARGUMENT 121/1980 U

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