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Westeuropäische Linke und "dritter Weg" - Berliner Institut für ...

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412 Jost Hermand<br />

Germanistik, die 1968 stramm 'antiautoritär', 1970 stramm 'basisverb<strong>und</strong>en' , 1976<br />

stramm 'neuromantisch' eingestellt waren - <strong>und</strong> die sich heute schon wieder über die<br />

'Neue Romantik' erhaben fühlen. Und sie tun das mit dem besten Gewissen, da diese<br />

Leute stets von den Ideen <strong>und</strong> nicht von den Realia ausgehen. Ideen ändern sich nämlich<br />

laufend, zusehends, manchmal fast von Woche zu Woche - während sich die Realia<br />

der politischen, gesellschaftlichen <strong>und</strong> ökonomischen Situation wesentlich langsamer,<br />

wenn überhaupt wandeln. In diesen Bereichen herrschen - zugegeben: in leicht<br />

veränderter Form - noch immer jene Gr<strong>und</strong>widersprüche des Kapitalismus, die dort<br />

schon in den fünfziger <strong>und</strong> sechziger Jahren geherrscht haben. Vermeiden wir daher,<br />

den Sirenenklängen jener 'Neuen Philosophen' zu lauschen, die über den Problemen<br />

Wotans wieder einmal die Probleme des Goldes vergessen" <strong>und</strong> die deshalb nur allzu<br />

leicht dem Wechselspiel von Euphorie <strong>und</strong> Depression anheimfallen. Denn es ist nicht<br />

die <strong>Linke</strong>, sondern der Status quo, der von der .ewigen Wiederkehr des Neuen. profitiert,<br />

wie Walter Benjamin einmal so hübsch gesagt hat 9 Es genügt darum nicht, nur<br />

das »jeweils neueste politische Feeling der linken Szene. in einern Aufsatzbündel zusammenzufassen<br />

- <strong>und</strong> dann das Ganze als »Kursbuch. herauszugeben. lU Hier sollte<br />

man schon mit etwas konkreteren Dingen aufzuwarten haben.<br />

Doch gehen wir bei dieser Kritik nicht so weit, lediglich auf irgendwelchen Abweichlern<br />

oder Dissidenten eines als 'richtig' empf<strong>und</strong>enen Weges herumzuhacken - wie<br />

das leider allzu lange geschehen ist. Niemand leugnet, daß solche internen Richtungsbestimmungen<br />

von Zeit zu Zeit nötig sind. Aber es wäre ein Zeichen von Schwäche, ja<br />

Feigheit, statt der Gegner zur Rechten dauernd die falschen Fre<strong>und</strong>e zur <strong>Linke</strong>n anzurempeln.<br />

Seien wir in diesem Punkte - auch als Germanisten - in Zukunft lieber etwas<br />

vorsichtiger <strong>und</strong> entwickeln wir eine gesamtlinke Strategie, die - bei aller Verpflichtung<br />

der 'Forderung des Tages' gegenüber - auch die langfristigen Ziele nicht<br />

aus dem Auge verliert. Und gehen wir dabei nicht nur von unseren eigenen, höchst privaten<br />

Bedürfnissen aus, da zwar die vielbeschworene 'Selbstrealisierung' auch ein linksutopisches<br />

Ziel ist, sich aber in der momentanen Praxis oft verdammt wenig von der<br />

bürgerlich-kapitalistischen 'Selbstrealisierung' unterscheidet. Es ist zwar verständlich,<br />

daß bei der in den letzten Jahren konsequent in Angriff genommenen 'Vergangenheitsbewältigung'<br />

alles, was nach Disziplin, Autorität, Solidarität oder Partei riecht, ins<br />

Negative abgerutscht ist. Doch wie weit soll man diesen Prozeß treiben? Und worin unterscheidet<br />

sich diese Haltung, die sich an der Fiktion des bürgerlich-autonomen 'Ich'<br />

orientiert, von den älteren Totalitarismustheorien?<br />

Vielleicht sollte man vor der Beantwortung solcher Fragen erst einmal die als kollektiv<br />

bestimmbaren Probleme neu durchdenken <strong>und</strong> sich dann stärker als bisher auf die als<br />

entscheidend erkannten Gr<strong>und</strong>widersprüche unserer Gesellschaft konzentrieren. Und<br />

zu diesen Gr<strong>und</strong>widersprüchen gehört <strong>für</strong> uns Germanisten noch immer jene zäh weiterbestehende,<br />

ja immer krasser werdende Dichotomie von E- <strong>und</strong> U-Literatur, die<br />

auch in Zukunft mit der gebührenden Schärfe <strong>und</strong> pädagogischen Hartnäckigkeit herausgearbeitet<br />

werden sollte, da sich mit dem Aufweis einer so eklatanten Verletzung aller<br />

Vorstellungen von Demokratie eine besonders irritierende Wirkung erzielen läßt.<br />

Huldigen wir daher nicht nur der Forderung nach unabdingbarer Icherfüllung - <strong>und</strong><br />

vermeiden wir vor allem jene nur allzu einladenden .Spazierwege <strong>für</strong> linke Melancholiker«,<br />

wo man sich den masochistisch-beglückenden Gefühlen einer durch den frustrierenden<br />

Druck der Gesellschaft erzeugten Schwermut hingeben kann. Schließlich gibt es<br />

DAS ARGUMENT 12111980 ©

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