Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung
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Erziehungsvorstellungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />
e<strong>in</strong>e zweite Etappe zu erweitern, während<br />
<strong>der</strong> die Insassen bis zur Vollendung des 20.<br />
Lebensjahres <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Industriebetrieb<br />
zu arbeiten hatten. 239 Diese Pläne wurden<br />
zum<strong>in</strong>dest flächendeckend nicht umgesetzt.<br />
E<strong>in</strong> Zeitzeuge, <strong>der</strong> Anfang <strong>der</strong> 1960er-Jahre<br />
im Jugendwerkhof war, berichtete darüber.<br />
Nach bisheriger E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> die Unterlagen<br />
e<strong>in</strong>zelner Jugendwerkhöfe wurde schwere<br />
manuelle Arbeit bevorzugt (Brikettfabriken,<br />
Tagebau, Gleisbau, Stahlwerke, Betonwerke,<br />
Ziegelfabriken).<br />
Vermehrte E<strong>in</strong>weisungen <strong>in</strong> Jugendwerkhöfe<br />
im Umfeld des Mauerbaus s<strong>in</strong>d bisher<br />
nicht nachweisbar. Die Zahl <strong>der</strong> E<strong>in</strong>weisungen<br />
<strong>in</strong> Arbeitslager für junge Erwachsene erhöhte<br />
sich dagegen beträchtlich. 240 Von zwei<br />
Jugendwerkhöfen (Hennickendorf, Lehn<strong>in</strong>)<br />
ist bekannt, dass aus Insassen Ordnungsgruppen<br />
mit Überwachungsaufgaben rekrutiert<br />
wurden. Im Jugendwerkhof Hennickendorf<br />
wurde e<strong>in</strong> Alarmzug 241 <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
für Sport und Technik (GST) gebildet, <strong>der</strong><br />
für se<strong>in</strong>e Beobachtertätigkeit ausgezeichnet<br />
wurde. 242<br />
Die Errichtung von Industrie-Jugendwerkhöfen,<br />
<strong>in</strong> denen die Arbeitsleistung betont<br />
wurde, führte <strong>in</strong> vielen Jugendwerkhöfen zu<br />
katastrophalen Zuständen, die <strong>in</strong> verschiedenen<br />
Berichten sehr kritisch und genau<br />
festgehalten worden s<strong>in</strong>d. 243 Als <strong>in</strong> Reaktion<br />
239 Vorlage über die Verbesserung <strong>der</strong> Arbeit <strong>in</strong><br />
den Jugendwerkhöfen (undatiert von Ende 1959). In:<br />
BArch DR 2/5850.<br />
240 Circa 300 E<strong>in</strong>weisungen monatlich im Herbst<br />
1961. Vgl. Zusammenstellungen von Verurteilungen<br />
nach <strong>der</strong> Verordnung über Aufenthaltsbeschränkung<br />
(und Arbeitsbummelei) vom 24. August 1961 von<br />
August 1961 bis Sommer 1968. In: BArch DO 1/14746.<br />
241 Zu den Alarmzügen <strong>der</strong> GST vgl.: Sachse,<br />
Christian: Aktive Jugend – wohlerzogen und<br />
diszipl<strong>in</strong>iert. Wehrerziehung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> als<br />
Sozialisations- und Herrschafts<strong>in</strong>strument (1960–<br />
1973). Lit Verlag, Münster 2000, S. 219.<br />
242 Analyse über die Arbeit im Jugendwerkhof<br />
Hennickendorf für das Schuljahr 1960/1961 vom 24.<br />
September 1961. In: KA-MOL 1.C3. Kt. u.r. SRB, Nr.<br />
22197.<br />
243 Beispiel: Zur Situation <strong>der</strong> Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heime<br />
und Jugendwerkhöfe um 1963, ohne Datum. In:<br />
BArch DR 2/23480.<br />
auf diese Berichte versucht wurde, wenigstens<br />
e<strong>in</strong>e geregelte Berufsausbildung für die<br />
Insassen <strong>der</strong> Jugendwerkhöfe durchzusetzen,<br />
verloren die Betriebe ihr Interesse an den<br />
billigen Arbeitskräften und kündigten die<br />
Verträge. Dies verschlechterte die Lage <strong>in</strong> den<br />
Industrie-Jugendwerkhöfen <strong>der</strong>art, dass e<strong>in</strong>e<br />
Anzahl von ihnen daraufh<strong>in</strong> geschlossen und<br />
ihre „Insassen“ verlegt wurden. 244<br />
Im Jahr 1965 wurden die Jugendwerkhöfe<br />
dem System <strong>der</strong> Spezialheime zugeordnet.<br />
Unmittelbare Träger waren damit die Räte<br />
<strong>der</strong> Bezirke. Im Zuge dessen wurde als „Diszipl<strong>in</strong>are<strong>in</strong>richtung<br />
im System <strong>der</strong> Spezialheime“<br />
auch <strong>der</strong> Geschlossene Jugendwerkhof<br />
Torgau e<strong>in</strong>gerichtet. Das Aufnahmealter<br />
betrug 14 bis 20 Jahre. Die Entscheidung<br />
über die E<strong>in</strong>weisung behielt sich die Zentralstelle<br />
für Spezialheime vor. 245<br />
Die neuerliche Kampagne zur Verfolgung<br />
<strong>der</strong> Jugendkulturen nach dem 11. Plenum<br />
des ZK <strong>der</strong> SED im Dezember 1965 führte zu<br />
e<strong>in</strong>er Erhöhung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>weisungsquote <strong>in</strong> die<br />
Spezialheime (darunter vorwiegend Jugendwerkhöfe)<br />
um 15 Prozent. Durch das Pr<strong>in</strong>zip<br />
<strong>der</strong> „Soforte<strong>in</strong>weisung“ war es im Gegenzug<br />
nötig geworden, an<strong>der</strong>e Insassen vorzeitig zu<br />
entlassen, was nach Ansicht <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />
den Umerziehungserfolg schmälerte. Die<br />
Wie<strong>der</strong>holung e<strong>in</strong>er solchen Repressionswelle<br />
wurde daher von e<strong>in</strong>er Erhöhung <strong>der</strong> Kapazitäten<br />
<strong>der</strong> Jugendwerkhöfe um 500 Plätze<br />
„<strong>in</strong> Bauschwerpunkten“ (wie<strong>der</strong>um schwere<br />
manuelle Arbeit) abhängig gemacht. 246<br />
244 Referat des Genossen Berw<strong>in</strong>g auf dem ersten<br />
Erfahrungsaustausch <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong> Jugendwerkhöfe<br />
<strong>der</strong> Bezirke Frankfurt und Cottbus über erste<br />
Ergebnisse <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> systematischen<br />
Berufsausbildung vom 28. März 1963. In: BLHA Rep.<br />
601 RdB Ffo, Nr. 5987.<br />
245 Anordnung über die Spezialheime <strong>der</strong><br />
Jugendhilfe vom 22. April 1965 (und Berichtigung<br />
vom 4. September 1965). In: GBl. <strong>DDR</strong> II, Nr. 53 vom<br />
17. Mai 1965, S. 368.<br />
246 M<strong>in</strong>isterium für Volksbildung: Dienstbesprechung<br />
am 31. Januar 1967, TOP 3: Maßnahmen<br />
auf dem Gebiet <strong>der</strong> Volksbildung zur Bekämpfung<br />
<strong>der</strong> Jugendkrim<strong>in</strong>alität (mit Vorlage) – Autoren:<br />
Mannschatz, Haubenschild, Funke. In: BArch DR<br />
2/7905.<br />
Anfang <strong>der</strong> 1970er-Jahre wurden <strong>in</strong> mehreren<br />
Etappen die Lebensbed<strong>in</strong>gungen an den<br />
E<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong> Jugendhilfe verbessert. 247<br />
Erhöht wurden die Sätze für Verpflegung,<br />
Bekleidung und persönliche Zuwendungen.<br />
Soweit bisher erkennbar, profitierten die<br />
Insassen von Jugendwerkhöfen nur an <strong>der</strong><br />
Verbesserung <strong>der</strong> Verpflegung und Bekleidung.<br />
Die ebenfalls angestrebte Grundsanierung<br />
von Gebäuden wurde nach <strong>der</strong>zeitigen<br />
Erkenntnissen für die Jugendwerkhöfe kaum<br />
wirksam. 248<br />
Trotz des Rückganges <strong>der</strong> Population <strong>der</strong><br />
betroffenen Jugendlichen erhöhten sich <strong>in</strong><br />
den 1970er-Jahren die E<strong>in</strong>weisungszahlen<br />
<strong>in</strong> die Jugendwerkhöfe stetig. E<strong>in</strong>en Höhepunkt<br />
bildeten dar<strong>in</strong> die E<strong>in</strong>weisungen im<br />
Vorfeld <strong>der</strong> X. Weltfestspiele <strong>der</strong> Jugend, die<br />
1973 <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> stattfanden. Im Frühjahr<br />
1973 wurden 300 Jugendliche mehr als sonst<br />
„vorbeugend“ <strong>in</strong> die Jugendwerkhöfe e<strong>in</strong>gewiesen.<br />
Da an<strong>der</strong>e „Problemfälle“ <strong>in</strong> dieser<br />
Zeit zurückgestellt wurden, ersche<strong>in</strong>t die von<br />
<strong>der</strong> Staatssicherheit gemeldete Zahl von 639<br />
E<strong>in</strong>weisungen <strong>in</strong> Jugendwerkhöfe im Zusammenhang<br />
mit den Jugendspielen realistisch. 249<br />
Im Jahr 1977 wurden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zusammenstellung<br />
23 Jugendwerkhöfe mit e<strong>in</strong>er Kapazität<br />
von 2.893 Plätzen gemeldet. 250 E<strong>in</strong>e<br />
an<strong>der</strong>e Statistik aus <strong>der</strong>selben Zeit, die auch<br />
vere<strong>in</strong>zelte Jugendwerkhofgruppen <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en<br />
E<strong>in</strong>richtungen berücksichtigte, gab e<strong>in</strong>e<br />
Kapazität von 2.994 Plätzen <strong>in</strong> 30 E<strong>in</strong>richtungen<br />
an. Von diesen Plätzen waren am 10.<br />
Mai 1977 3.040 Plätze belegt. Es ist also e<strong>in</strong>e<br />
leichte Überbelegung zu verzeichnen. 251<br />
247 Interne Weisung des M<strong>in</strong>isterrates <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />
zur Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Situation <strong>in</strong> den Heimen <strong>der</strong><br />
Jugendhilfe vom 5. Juni 1974. In: BArch DR 2/12328.<br />
248 Bericht des Rates des Bezirkes Potsdam vom<br />
17. Dezember 1974 über außerordentlich e<strong>in</strong>gesetzte<br />
Mittel zur Werterhaltung <strong>in</strong> den Heimen <strong>der</strong><br />
Jugendhilfe. In: BArch DR 2/12194.<br />
249 Auszüge aus Berichten <strong>der</strong> HA K (ohne<br />
Datum, Ende Juli 1973) über Ermittlungen im<br />
Zusammenhang mit den X. Weltfestspielen <strong>der</strong><br />
Jugend. In: MfS HA IX, Nr. 5355.<br />
250 Statistik <strong>der</strong> Jugendwerkhöfe (Personal,<br />
Kapazität) vom 31. Mai 1977. In: BArch DR 2/12293.<br />
251 Belegungsmeldung <strong>der</strong> Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heime<br />
Trotz des erwarteten Rückgangs <strong>der</strong> Population<br />
14 bis 18-jähriger Jugendlicher<br />
(„Pillenknick“) bestand das M<strong>in</strong>isterium für<br />
Volksbildung 1980 auf e<strong>in</strong>er Erweiterung <strong>der</strong><br />
Kapazitäten. Da die wirtschaftlichen Probleme<br />
zu diesem Zeitpunkt bereits manifest waren,<br />
schlug das M<strong>in</strong>isterium e<strong>in</strong>e Reihe von unkonventionellen<br />
Verfahren vor, wie trotz fehlen<strong>der</strong><br />
Gel<strong>der</strong> dennoch 660 neue Plätze geschaffen<br />
werden könnten. 252 Diese Pläne wurden<br />
nur zum Teil realisiert. Im Jahr 1981 war geplant,<br />
Normalk<strong>in</strong><strong>der</strong>heime <strong>in</strong> Jugendwerkhöfe<br />
umzufunktionieren. Dies wurde <strong>in</strong> m<strong>in</strong>destens<br />
e<strong>in</strong>em Fall verwirklicht (Siethen). 253 Im Bezirk<br />
Cottbus sollte e<strong>in</strong> neuer Jugendwerkhof gebaut<br />
werden (F<strong>in</strong>sterwalde), was mit Verzögerung<br />
auch geschah. 254 Das Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heim Bad<br />
Köstritz sollte ebenfalls <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Jugendwerkhof<br />
umfunktioniert werden. 255<br />
Im Mai 1980 wurde e<strong>in</strong>e neue Verordnung<br />
über die Berufsausbildung <strong>der</strong> Insassen von<br />
Jugendwerkhöfen erlassen. Regelfall sollte<br />
nun e<strong>in</strong>e dreijährige Berufsausbildung se<strong>in</strong>,<br />
die sich allerd<strong>in</strong>gs – wie Praxisberichte zeigen<br />
– qualitativ nicht von <strong>der</strong> Ausbildung zum<br />
Teilfacharbeiter unterschied. 256 E<strong>in</strong>ige wenige<br />
„Berufe“, die lediglich <strong>in</strong> dem ausbildenden<br />
Betrieb ausgeübt werden konnten, wurden<br />
von <strong>der</strong> Liste <strong>der</strong> angebotenen Ausbildungen<br />
gestrichen (z. B. Dauerbackwarenhersteller im<br />
VEB Knäckebrotwerk Burg). 257<br />
1977–1978. In: BArch DR 2/60879.<br />
252 Demographische Entwicklung und Beschlüsse<br />
zur E<strong>in</strong>weisung <strong>in</strong> Jugendwerkhöfe, Rückblick bis<br />
1968, Prognose bis 1991 (ohne Datum, ca. 1980). In:<br />
BArch DR 2/12293.<br />
253 Aussprache im K<strong>in</strong><strong>der</strong>heim Siethen am 9. Mai<br />
1984. In: BLHA Rep. 401 RdB Pdm, Nr. 24489.<br />
254 Beschluss Nr. 156/83 des Rates des<br />
Bezirkes Cottbus zur schrittweisen E<strong>in</strong>richtung des<br />
Jugendwerkhofes F<strong>in</strong>sterwalde und Auflösung des<br />
Jugendwerkhofes Drehna vom 22. Juni 1983. In:<br />
BLHA Rep. 801 RdB Ctb, Nr. 45.<br />
255 Maßnahmen zur Führung und Anleitung<br />
<strong>der</strong> Jugendwerkhöfe auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong><br />
Berichterstattung <strong>der</strong> Bezirksschulräte vom 30.<br />
Oktober 1981. In: BArch DR 2/12293.<br />
256 Anordnung über die Berufsausbildung<br />
Jugendlicher <strong>in</strong> den Jugendwerkhöfen vom 5. Mai<br />
1980. In: GBl. <strong>DDR</strong> I, Nr. 18 vom 26. Juni 1980, S. 167.<br />
257 Maßnahmen zur Führung und Anleitung<br />
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