Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung
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Rechtsfragen <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />
bekannt ist aber auch, dass Jugendliche aus<br />
Jugendwerkhöfen an Betriebe <strong>in</strong> Industrie<br />
und Landwirtschaft ausgeliehen wurden. 356<br />
An<strong>der</strong>s als noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verordnung von<br />
1952 enthält die Anordnung von 1956 ke<strong>in</strong>e<br />
Regelungen mehr, die e<strong>in</strong>e Schulpflicht für<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> ohne Schulabschluss vorsehen. Im<br />
Gegenteil statuiert § 8 <strong>der</strong> Anordnung lediglich<br />
e<strong>in</strong>e Berufsschulpflicht, die nicht mehr<br />
als 14 Wochenstunden umfassen darf. Von<br />
diesen 14 Stunden waren nur sieben für<br />
allgeme<strong>in</strong>bildenden Unterricht vorgesehen,<br />
h<strong>in</strong>zu kamen zwei Stunden Sport und fünf<br />
Stunden Fachunterricht für den Ausbildungsberuf.<br />
Die Pflicht, die Jugendlichen für e<strong>in</strong>en<br />
allgeme<strong>in</strong>en Schulabschluss zu qualifizieren,<br />
entfiel.<br />
Im Jahr 1980 wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Verordnung<br />
festgelegt, dass <strong>der</strong> Ausbildungsbetrieb<br />
<strong>der</strong> Jugendlichen immer <strong>der</strong> Jugendwerkhof<br />
war. 357 Er konnte die Jugendlichen aber<br />
weiter <strong>in</strong> heimexterne Betriebe „delegieren“<br />
(siehe dazu schon § 3 <strong>der</strong> Verordnung über<br />
die Berufsausbildung von1952). E<strong>in</strong>e Auswahl<br />
zwischen mehreren Berufen gab es<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis kaum; <strong>in</strong> den meisten Fällen<br />
wurden die Jugendlichen von <strong>der</strong> Heimleitung<br />
e<strong>in</strong>em bestimmten Ausbildungsplatz<br />
zugewiesen. 358 Neben e<strong>in</strong>er vollständigen<br />
Ausbildung waren weiter auch Ausbildungen<br />
<strong>in</strong> „Teilgebieten von Ausbildungsberufen“ zulässig<br />
(§ 2 Abs. 1). Erstmals wurde hier auch die<br />
Zustimmung <strong>der</strong> Eltern <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Berufsausbildung<br />
o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Arbeitsvertrag ihrer K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
geregelt: Sie war nach § 142 Arbeitsgesetzbuch<br />
(1977) vorgeschrieben, konnte aber von<br />
den Organen <strong>der</strong> Jugendhilfe nach § 50 FGB<br />
ersetzt werden (§ 6 Abs. 1 und 3). Im Ergebnis<br />
konnten die Eltern folglich auch bei dieser<br />
Entscheidung ohne großen Aufwand – und<br />
vor allem ohne e<strong>in</strong>e gerichtliche Entscheidung<br />
– umgangen werden.<br />
Die Arbeit <strong>der</strong> Jugendlichen wurde nach<br />
356 Vgl. Sachse 2010, 81.<br />
357 § 2 Abs. 2 <strong>der</strong> Anordnung über die Berufsausbildung<br />
Jugendlicher <strong>in</strong> den Jugendwerkhöfen v.<br />
5.5.1980, GBl. 1980, 167.<br />
358 Vgl. Zimmermann 2004, 313.<br />
festen Sätzen entlohnt. 359 E<strong>in</strong> erheblicher<br />
Teil des Lohnes wurde zur F<strong>in</strong>anzierung <strong>der</strong><br />
Heimplätze e<strong>in</strong>behalten. 360 Der Rest kam<br />
auf e<strong>in</strong> Sparkonto; den Jugendlichen wurde<br />
nur e<strong>in</strong> Taschengeld ausgezahlt. 361 Es gab<br />
offenbar etliche Fälle, <strong>in</strong> denen Mitarbeiter<br />
<strong>der</strong> Heime Lohngel<strong>der</strong> <strong>der</strong> Jugendlichen<br />
unterschlugen. 362<br />
An<strong>der</strong>s als <strong>in</strong> Westdeutschland war <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>DDR</strong> klar gesetzlich geregelt, dass die Ausbildungs-<br />
und Arbeitsverhältnisse <strong>in</strong> den<br />
Heimen sozialversicherungspflichtig waren. 363<br />
Ob allerd<strong>in</strong>gs Beschäftigungsverhältnisse,<br />
die nicht auf e<strong>in</strong>em Lehr- o<strong>der</strong> Arbeitsver-<br />
359 § 10 <strong>der</strong> Anordnung über die Durchführung<br />
<strong>der</strong> Aufgaben <strong>in</strong> den Jugendwerkhöfen (1956);<br />
Richtl<strong>in</strong>ien für die Vergütung <strong>der</strong> Jugendlichen <strong>in</strong> den<br />
Jugendwerkhöfen vom 11.12.1956, BLHA Rep. 601<br />
RdB Ffo Nr. 5987; §§ 1 und 3 <strong>der</strong> Anordnung Nr. 2 über<br />
die Durchführung <strong>der</strong> Aufgaben <strong>in</strong> den Jugendwerkhöfen<br />
v. 3.4.1958, GBl. 1958, 352; § 1 <strong>der</strong> „Anordnung<br />
Nr. 2 über die Spezialheime <strong>der</strong> Jugendhilfe“ v.<br />
15.2.1975, GBl. 1975, 217; § 7 <strong>der</strong> Anordnung über die<br />
Berufsausbildung Jugendlicher <strong>in</strong> den Jugendwerkhöfen<br />
v. 5.5.1980, GBl. 1980, 167; Verordnung über die<br />
Erhöhung <strong>der</strong> Entgelte <strong>der</strong> Lehrl<strong>in</strong>ge v. 11.6.1981, GBl.<br />
1981, 231.<br />
360 §§ 6 Abs. 5, 11 Abs. 4 <strong>der</strong> Zweiten Durchführungsbestimmung<br />
zur Verordnung über die Berufsausbildung<br />
und schulische För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Jugendlichen<br />
<strong>in</strong> den Jugendwerkhöfen, GBl. 1953, 543; § 12 Abs. 2<br />
<strong>der</strong> Anordnung über die Durchführung <strong>der</strong> Aufgaben<br />
<strong>in</strong> den Jugendwerkhöfen (1956, Fn. 359), außer Kraft<br />
getreten am 1.6.1958 durch § 4 <strong>der</strong> Anordnung Nr. 3<br />
vom 4. Juli 1958 über die Durchführung <strong>der</strong> Aufgaben<br />
<strong>in</strong> den Jugendwerkhöfen. In: GBl. I <strong>DDR</strong>, 1958, S. 631;<br />
ersetzt durch § 6 <strong>der</strong> Anordnung über die Kostenregelung<br />
bei Unterbr<strong>in</strong>gung <strong>in</strong> staatlichen E<strong>in</strong>richtungen<br />
<strong>der</strong> Jugendhilfe/<strong>Heimerziehung</strong> vom 1.6.1958 (Schreiben<br />
vom 4. Juli 1958), BArch DR 2/5576, S. 55.<br />
361 §§ 4 Abs. 1, 11 Abs. 1 <strong>der</strong> Zweiten Durchführungsbestimmung<br />
zur Verordnung über die Berufsausbildung<br />
und schulische För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Jugendlichen <strong>in</strong><br />
den Jugendwerkhöfen (1953, Fn. 360); § 12 Abs. 1 und<br />
3 <strong>der</strong> Anordnung über die Durchführung <strong>der</strong> Aufgaben<br />
<strong>in</strong> den Jugendwerkhöfen (1956, Fn. 359).<br />
362 Sachse 2010, 99 m. N.<br />
363 § 11 <strong>der</strong> Anordnung über die Durchführung<br />
<strong>der</strong> Aufgaben <strong>in</strong> den Jugendwerkhöfen (1956, Fn.<br />
359); § 11 <strong>der</strong> Anordnung über die Berufsausbildung<br />
Jugendlicher <strong>in</strong> den Jugendwerkhöfen v. 5.5.1980, GBl.<br />
1980, 167.<br />
trag beruhten, etwa die Beschäftigung von<br />
Jugendlichen ohne Schulabschluss nach § 4<br />
Abs. 2 <strong>der</strong> Verordnung von 1952, sozialversichert<br />
wurden, ist den gesetzlichen Regelungen<br />
und <strong>der</strong> Fachliteratur nicht ohne Weiteres<br />
zu entnehmen. Hier s<strong>in</strong>d Untersuchungen<br />
zur tatsächlichen Praxis <strong>in</strong> den Heimen<br />
erfor<strong>der</strong>lich.<br />
Neben diesen regulären Arbeitsverhältnissen<br />
gab es <strong>in</strong> den Heimen die sogenannte<br />
„Selbstbedienung“ (§ 4 Abs. 5 Heimordnung<br />
364 ). Damit war geme<strong>in</strong>t, dass die<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen für die alltäglichen<br />
Arbeiten im Heim selbst verantwortlich se<strong>in</strong><br />
sollten. Diese Arbeit wurde – wie <strong>in</strong> Westdeutschland<br />
– als pädagogische Maßnahme<br />
angesehen und daher we<strong>der</strong> entlohnt noch<br />
sozialversichert.<br />
Aus <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Jugendwerkhöfe wird<br />
berichtet, dass die Jugendlichen häufig wie<br />
Vollzeit-Hilfsarbeiter <strong>in</strong> Industriebetrieben<br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Landwirtschaft e<strong>in</strong>gesetzt wurden,<br />
z. T. auch im Schichtdienst und mit e<strong>in</strong>töniger,<br />
stumpfs<strong>in</strong>niger o<strong>der</strong> körperlich schwer<br />
belastenden Tätigkeiten. 365 Verstöße gegen<br />
die gesetzlichen Regelungen sche<strong>in</strong>en häufig<br />
gewesen zu se<strong>in</strong> und kamen sogar <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
veröffentlichten Literatur gelegentlich zur<br />
Sprache. So wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Aufsatz aus dem<br />
Jahr 1961 bemängelt, dass die Jugendlichen<br />
<strong>in</strong> den Jugendwerkhöfen wahllos als Arbeitskräfte<br />
e<strong>in</strong>gesetzt würden und dass e<strong>in</strong>ige<br />
von ihnen noch nach zwei Jahren ke<strong>in</strong>en<br />
Lehrvertrag hatten. 366 Das Gefühl, ohne<br />
System und vor allem auch ohne jegliche Bildungs-<br />
o<strong>der</strong> Erziehungsabsicht jeweils dort<br />
zur Arbeit e<strong>in</strong>gesetzt worden zu se<strong>in</strong>, wo es<br />
sich gerade anbot, zieht sich durch viele Biografien<br />
ehemaliger Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>.<br />
364 Anordnung über die Bildungs- und Erziehungsarbeit<br />
<strong>in</strong> den Heimen v. 1.9.1969, GBl. 1969, 555.<br />
365 Gespräch mit Manfred May am 21.12.2011.<br />
366 Bülow 1961, 422.<br />
5.3.3.2 Spezielle Regelungen für die<br />
Durchgangsheime<br />
Die Regelungen bezüglich Arbeit und Ausbildung<br />
für die Jugendwerkhöfe wurden im<br />
Jahr 1958 für s<strong>in</strong>ngemäß anwendbar auch<br />
auf die Durchgangsheime erklärt. 367 Auch die<br />
Heimordnung von 1969 war anwendbar, allerd<strong>in</strong>gs<br />
musste sie an die beson<strong>der</strong>en Bed<strong>in</strong>gungen<br />
im Durchgangsheim – vor allem an<br />
die kürzeren Aufenthaltsdauern – angepasst<br />
werden. Im Vor<strong>der</strong>grund stand zudem stets<br />
die Sicherheit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung. 368<br />
Kamen K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> die Durchgangse<strong>in</strong>richtungen,<br />
so waren sie schulpflichtig nach den<br />
allgeme<strong>in</strong>en Regeln. Nach e<strong>in</strong>er nicht veröffentlichten<br />
Anordnung aus dem Jahr 1963 369<br />
sollten täglich vier Stunden Unterricht stattf<strong>in</strong>den<br />
(Ziff. 5b). Jugendliche <strong>in</strong> Ausbildung<br />
sollten e<strong>in</strong>en wöchentlichen Berufsschultag<br />
e<strong>in</strong>legen können (Ziff. 5c). Ansonsten sollten<br />
die Jugendlichen ab dem 14. Lebensjahr <strong>in</strong><br />
Betrieben o<strong>der</strong> heimeigenen E<strong>in</strong>richtungen<br />
beschäftigt werden (Ziff. 6a). Sie konnten<br />
auch zu Lohnarbeiten <strong>in</strong>nerhalb des Heims<br />
herangezogen werden (Ziff. 6c). Alle Arbeiten<br />
waren nach den Regeln für die JWH zu<br />
vergüten (Ziff. 6d). Wenn die K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />
Jugendlichen <strong>in</strong> den Durchgangsheimen<br />
arbeiteten, so wurden nicht nur die Heimkosten,<br />
son<strong>der</strong>n auch die Kosten für den Transport<br />
<strong>in</strong>s Durchgangsheim von ihrem Lohn<br />
367 Anordnung Nr. 2 über die Durchführung <strong>der</strong><br />
Aufgaben <strong>in</strong> den Jugendwerkhöfen v. 3.4.1958, GBl.<br />
1958, 352.<br />
368 § 1 <strong>der</strong> Anweisung über die Bildungs- und<br />
Erziehungsarbeit <strong>in</strong> den Durchgangse<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong><br />
Jugendhilfe vom 15. September 1970 (mit Ordnung<br />
über die zeitweilige Isolierung [...] vom 1.12.1967),<br />
BLHA Rep. 801 RdB Ctb Nr. 23607.<br />
369 Ziff. 5b <strong>der</strong> Anweisung zur Anwendung <strong>der</strong><br />
Arbeitsrichtl<strong>in</strong>ie für Durchgangse<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong><br />
Jugendhilfe vom 1. Mai 1963, BArch DR 2/60998. Die<br />
Anweisung trat am 1.1.1971 außer Kraft, vgl. § 10<br />
Abs. 2 <strong>der</strong> Anweisung über die Bildungs- und Erziehungsarbeit<br />
<strong>in</strong> den Durchgangse<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />
vom 15. September 1970 (mit Ordnung über<br />
die zeitweilige Isolierung [...] vom 1.12.1967), BLHA<br />
Rep. 801 RdB Ctb Nr. 23607.<br />
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