Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung
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Was hilft ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> bei <strong>der</strong> Bewältigung ihrer komplexen Traumatisierung?<br />
entwickeln, richten ihre Aufmerksamkeit<br />
nach außen und versuchen, Kontrolle zu<br />
gew<strong>in</strong>nen, <strong>in</strong>dem sie sich bemühen, vorauszusehen,<br />
was von ihnen gefor<strong>der</strong>t werden<br />
wird und wie sie sich zu verhalten haben,<br />
um ke<strong>in</strong>en Regelverstoß zu begehen. Diese<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> entwickeln e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>s fe<strong>in</strong>es<br />
Gespür für die Stimmung und Bedürfnislage<br />
an<strong>der</strong>er Menschen. Sie lernen, sich durch<br />
Anpassung zu schützen. Durch die habituelle<br />
Aufmerksamkeitslenkung auf das Gegenüber<br />
fällt es ihnen schwer, eigene Bedürfnisse zu<br />
erkennen und zu vertreten. Es ist so, als ob<br />
e<strong>in</strong>e Innensteuerung fehlt, da alle Orientierung<br />
auf die Umwelt gerichtet ist. Auf diese<br />
Weise kann sich e<strong>in</strong>e autonome Persönlichkeit<br />
mit eigener Identität und eigenem Willen<br />
nur schwer entwickeln. Im Erwachsenenalter<br />
fallen auf diese Weise <strong>in</strong> ihrer Persönlichkeit<br />
geprägte ehemalige Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> dadurch<br />
auf, dass sie es allen Menschen recht machen<br />
wollen und sich hierbei verausgaben. Diese<br />
Neigung f<strong>in</strong>det sich nicht selten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wahl<br />
e<strong>in</strong>es sozialen Berufs wie<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Gefahr,<br />
sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fürsorge für an<strong>der</strong>e Menschen<br />
zu verausgaben und die eigenen Bedürfnisse<br />
zu kurz kommen zu lassen. Häufig f<strong>in</strong>den<br />
sich auch abhängige Persönlichkeitszüge mit<br />
Selbstunsicherheit, anklammerndem Beziehungsverhalten<br />
und e<strong>in</strong>er Unfähigkeit, Konflikte<br />
auszutragen. Diese Problematik kann<br />
das Ausmaß e<strong>in</strong>er Persönlichkeitsstörung<br />
erreichen und die Lebensführung bis h<strong>in</strong> zur<br />
Arbeitsunfähigkeit bee<strong>in</strong>trächtigen und für<br />
Betroffene hohes Leid verursachen. Durch<br />
Verlust von Lebensfreude und e<strong>in</strong>e fehlende<br />
positive Lebensperspektive kann sich e<strong>in</strong>e<br />
depressive Störung mit dem Risiko suizidaler<br />
Impulse entwickeln.<br />
Dysregulierte Verhaltensmuster s<strong>in</strong>d<br />
dadurch gekennzeichnet, dass Situationen<br />
von Ohnmacht und Hilflosigkeit durch<br />
psychische Schutzmechanismen bewältigt<br />
werden, die vorwiegend mit aggressiven o<strong>der</strong><br />
impulsiven Reaktionen e<strong>in</strong>hergehen. Betroffene<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> werden häufig selber aggressiv<br />
und reagieren sich an an<strong>der</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>n ab.<br />
Die Fähigkeit zur Regulation von Affekten<br />
ist durch wie<strong>der</strong>holte Erfahrungen heftiger<br />
Dysregulation bee<strong>in</strong>trächtigt. Manchmal ist<br />
auch die Fähigkeit zur empathischen Wahrnehmung<br />
des Gegenübers nicht ausreichend<br />
entwickelt. In <strong>der</strong> Folge fehlt es an emotionaler<br />
Fe<strong>in</strong>steuerung, auch <strong>in</strong> Beziehungen<br />
zu an<strong>der</strong>en Menschen. In gleicher Weise ist<br />
die Wahrnehmung <strong>der</strong> eigenen emotionalen<br />
Bef<strong>in</strong>dlichkeit oft wenig entwickelt. Betroffene<br />
neigen dazu, bei Konflikten mit an<strong>der</strong>en<br />
Menschen heftige emotionale Reaktionen<br />
zu zeigen und beispielsweise aufbrausend<br />
ärgerlich und verbal verletzend zu werden.<br />
Gleichzeitig fürchten sie sich davor, verlassen<br />
zu werden und alle<strong>in</strong> zu se<strong>in</strong>. Aufgrund<br />
dieser Problematik kann sich e<strong>in</strong>e emotional<strong>in</strong>stabile<br />
Persönlichkeitsstörung (Bor<strong>der</strong>l<strong>in</strong>e-<br />
Persönlichkeitsstörung) ausbilden, die durch<br />
emotionale Dysregulation, Impulsivität und<br />
häufige Beziehungsabbrüche gekennzeichnet<br />
ist (Sack et al. 2011).<br />
Infolge <strong>der</strong> Anpassung an entwertende<br />
und traumatisierende Bed<strong>in</strong>gungen im Heim<br />
kann es sowohl bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, die mit übermäßiger<br />
Anpassung reagieren, wie auch bei<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, die zu e<strong>in</strong>er dysregulierten Bewältigung<br />
neigen, zu autoaggressivem Verhalten<br />
beispielsweise <strong>in</strong> <strong>der</strong> Form von Selbstverletzen,<br />
massivem Suchtverhalten o<strong>der</strong><br />
Suizidalität kommen. Oft bestehen große<br />
Scham bezüglich <strong>der</strong> eigenen Probleme und<br />
e<strong>in</strong> Empf<strong>in</strong>den von Wertlosigkeit. Aufgrund<br />
vergeblicher Bewältigungsversuche können<br />
Gefühle von Verbitterung und Hass entstehen.<br />
E<strong>in</strong>e resignative Grundhaltung mit e<strong>in</strong>er<br />
fehlenden Erwartung, dass es s<strong>in</strong>nvoll ist,<br />
sich für persönliche Ziele e<strong>in</strong>zusetzen, kann<br />
die Folge se<strong>in</strong>.<br />
Häufige Folge von Vernachlässigung und<br />
Gewalt <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit und Jugend ist e<strong>in</strong>e<br />
anhaltende seelische Verletzung, die sich als<br />
nicht ausreichend gelungene Entwicklung<br />
und Reifung zu e<strong>in</strong>er autonomen und beziehungsfähigen<br />
Persönlichkeit beschreiben<br />
lässt. Betroffene haben Schwierigkeiten,<br />
eigene Gefühle wahrzunehmen, sich <strong>in</strong><br />
an<strong>der</strong>e Menschen e<strong>in</strong>zufühlen und Konflikte<br />
auszutragen. Aufgrund von Erfahrungen<br />
von Entwertung und Beschämung fällt es<br />
vielen ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n schwer, um<br />
Hilfe durch an<strong>der</strong>e Menschen zu bitten o<strong>der</strong><br />
diese anzunehmen. In an<strong>der</strong>en Fällen hat<br />
die Verunsicherung durch Entwertung und<br />
Demütigungen zu e<strong>in</strong>er ausgeprägten Lebensunsicherheit<br />
geführt, sodass die Fähigkeit,<br />
Eigenverantwortung zu übernehmen,<br />
bee<strong>in</strong>trächtigt ist (Matejcek 2006).<br />
Die Kompensationsmuster im erwachsenen<br />
Alter s<strong>in</strong>d geschlechterspezifisch<br />
unterschiedlich ausgeprägt. Bei Frauen<br />
besteht häufig <strong>der</strong> Wunsch, direkt nach <strong>der</strong><br />
Heimentlassung e<strong>in</strong>e Familie zu gründen.<br />
Bei Männern s<strong>in</strong>d es eher Wünsche nach<br />
e<strong>in</strong>er „heilen Welt“ und e<strong>in</strong>er idealen Beziehung<br />
und danach, durch berufliche Karriere<br />
und gutes f<strong>in</strong>anzielles Auskommen soziale<br />
Anerkennung zu f<strong>in</strong>den und dadurch die im<br />
Heim erlittenen Defizite zu kompensieren.<br />
In beiden Fällen s<strong>in</strong>d Enttäuschungen vorprogrammiert,<br />
wenn es zu Schwierigkeiten<br />
kommt o<strong>der</strong> wenn die sich selbst gesetzten,<br />
oft unrealistisch hohen Ziele, nicht erreicht<br />
werden können.<br />
Zu den typischen durch den Heimaufenthalt<br />
erworbenen o<strong>der</strong> verstärkten Problemen<br />
gehören Selbstwertprobleme (Joraschky<br />
1997). Durch die negativen und traumatisierenden<br />
Entwicklungsbed<strong>in</strong>gungen konnte<br />
sich ke<strong>in</strong> stabiles Selbstwerterleben etablieren.<br />
Es resultieren soziale Unsicherheit und<br />
e<strong>in</strong>e erhöhte Verletzlichkeit bei Kritik o<strong>der</strong><br />
fehlen<strong>der</strong> Beachtung durch an<strong>der</strong>e Menschen.<br />
Verbunden mit sozialen Ängsten kann<br />
es zu ausgeprägten Ängsten vor Autoritäten<br />
und Behörden kommen. Sozialer Rückzug<br />
und Isolation ist dann die häufige Folge. E<strong>in</strong>e<br />
erhöhte affektive Labilität kann auch zu ungesteuerter<br />
Aggressivität führen und damit<br />
zur Weitergabe traumatischer Erfahrungen<br />
an an<strong>der</strong>e Menschen. Wenn dies geschieht,<br />
s<strong>in</strong>d davon oft unmittelbar nahestehende<br />
Menschen, beispielsweise die Partner<strong>in</strong> o<strong>der</strong><br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>, betroffen.<br />
E<strong>in</strong> weiterer wichtiger, oft übersehener<br />
Problembereich ist das Fehlen e<strong>in</strong>er Zukunftsperspektive,<br />
die sich als resignierte<br />
Lebenshaltung sowie als Interesselosigkeit<br />
o<strong>der</strong> Hoffnungslosigkeit äußern kann. Die<br />
betroffenen Patienten wirken auch <strong>in</strong> ihrer<br />
Vorstellungskraft und kreativen Fantasie<br />
e<strong>in</strong>geschränkt, z. B. bei <strong>der</strong> Suche nach Lösungswegen<br />
für Alltagsprobleme, als seien sie<br />
ganz durch ihre Gefühle von Desillusionierung<br />
und Hoffnungslosigkeit e<strong>in</strong>genommen.<br />
Die Lust an aktiver Lebensgestaltung und die<br />
Fähigkeit, angenehme Aktivitäten aufzunehmen<br />
o<strong>der</strong> beizubehalten, s<strong>in</strong>d ebenfalls oft<br />
stark bee<strong>in</strong>trächtigt. Entsprechend ersche<strong>in</strong>t<br />
den Betroffenen das Leben oft als s<strong>in</strong>nlos<br />
und ohne lohnendes Ziel. Persönliche Grundüberzeugungen,<br />
Wertvorstellungen und<br />
Glaubense<strong>in</strong>stellungen können als Folge von<br />
Traumatisierungen entwertet und zerstört<br />
se<strong>in</strong> (Janoff-Bulman 1992). E<strong>in</strong>e dementsprechend<br />
brüchige <strong>in</strong>nere Orientierung und<br />
e<strong>in</strong> fehlen<strong>der</strong> <strong>in</strong>nerer Halt gehen mit e<strong>in</strong>er<br />
erhöhten Latenz von Suizidalität und Selbstaufgabe<br />
beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> Krisensituationen<br />
e<strong>in</strong>her (Molnar et al. 2001).<br />
4.3 Typische Schädigungsfolgen auf <strong>der</strong><br />
Ebene psychischer Störungen (ICD-10)<br />
• (Komplexe) Posttraumatische<br />
Belastungsstörung<br />
• Dissoziative Störungen<br />
• Phobische Störungen und an<strong>der</strong>e<br />
Angststörungen<br />
• Depressive Störungen<br />
• Persönlichkeitsstörungen (z. B. emotional<br />
<strong>in</strong>stabile Persönlichkeitsstörung)<br />
• Suchterkrankungen<br />
• Somatoforme Störungen (Körperbeschwerden<br />
ohne ausreichende organische<br />
Ursache)<br />
• Zwangsstörungen<br />
Das gesamte Ausmaß <strong>der</strong> im Heim erworbenen<br />
Schädigungen, beson<strong>der</strong>s aber das<br />
persönliche Leid ehemaliger Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />
<strong>der</strong>en Belastung durch Regulationsprobleme<br />
<strong>in</strong> zwischenmenschlichen Beziehungen und<br />
im familiären Bereich, bildet sich nur unzureichend<br />
<strong>in</strong> den gültigen mediz<strong>in</strong>ischen diagnostischen<br />
Systemen ab. Soziale Anpassungsstörungen<br />
und Störungen auf <strong>der</strong> Ebene von<br />
Persönlichkeitsakzentuierungen stehen bei<br />
ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n im Vor<strong>der</strong>grund<br />
<strong>der</strong> Problematik. Gahleitner (2010) macht<br />
daher <strong>in</strong> <strong>der</strong> Expertise über die Folgen von<br />
<strong>Heimerziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> BRD <strong>in</strong> den 50er- und<br />
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