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Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung

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Was hilft ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> bei <strong>der</strong> Bewältigung ihrer komplexen Traumatisierung?<br />

Kultusm<strong>in</strong>ister, nur <strong>in</strong> Ausnahmefällen körperliche<br />

Züchtigungen anzuwenden, die aber<br />

nicht e<strong>in</strong>deutig formuliert waren, erst 2000<br />

wurde das Recht auf gewaltfreie Erziehung<br />

durchgesetzt.<br />

E<strong>in</strong>ige Unterschiede zwischen Ost und<br />

West lassen sich <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> <strong>der</strong> Struktur<br />

und Organisation <strong>der</strong> Heimsysteme<br />

feststellen. Die Heime im Westen befanden<br />

sich <strong>in</strong> dem untersuchten Zeitraum zu 65 %<br />

überwiegend <strong>in</strong> kirchlicher, nur zu 25 % <strong>in</strong><br />

staatlicher und zu 10 % <strong>in</strong> freier o<strong>der</strong> privater<br />

Trägerschaft. Verantwortlich für die<br />

E<strong>in</strong>weisung und Unterbr<strong>in</strong>gung waren die<br />

Jugendämter, häufig g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e Entscheidung<br />

des Vormundschaftsgerichtes voraus. Die<br />

Heime <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> waren, bis auf wenige<br />

Ausnahmen, ab den frühen 50er-Jahren bis<br />

zur Wende nur noch <strong>in</strong> staatlicher Hand,<br />

unterlagen somit e<strong>in</strong>er deutlich stärkeren<br />

E<strong>in</strong>flussnahme <strong>der</strong> politischen Interessen<br />

und Vorgaben des Staates. Im Gegensatz zu<br />

den Heimen <strong>der</strong> BRD waren die Heime <strong>der</strong><br />

<strong>DDR</strong> zentral geführt und verwaltet; hatte die<br />

Kollektiverziehung e<strong>in</strong>e ideologisch-politische<br />

Zielsetzung; wurde die <strong>Heimerziehung</strong><br />

re<strong>in</strong> staatlich organisiert und war an den<br />

staatlichen Zielen orientiert. Die gesamte<br />

Pädagogik war an sowjetischen Grundpositionen<br />

ausgerichtet, ohne Möglichkeit zur<br />

Selbstreflexion und Produktion eigenständiger<br />

sozialpädagogischer Theorien fand die<br />

Erziehung <strong>in</strong> fremdbestimmten Institutionen<br />

statt, <strong>der</strong>en Eigenständigkeit <strong>in</strong> stattlichen<br />

Gesamtsystem <strong>in</strong>frage gestellt war. Die Erziehung<br />

war auf Persönlichkeitsdefizite und ihre<br />

Beseitigung durch planvoll gestaltete und<br />

kalkulierte pädagogische Methoden ausgerichtet<br />

(Krause 2004). Zimmermann (2004,<br />

417) beschreibt ebenfalls den repressiven<br />

Charakter <strong>der</strong> Jugendhilfe <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> und<br />

spricht von e<strong>in</strong>er „Erziehungsdiktatur“ im<br />

S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es rechtlosen Raums und fehlen<strong>der</strong><br />

Vertretung <strong>der</strong> Interessen, von aus <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

als „Arbeitsscheue“, „Rowdys“ o<strong>der</strong><br />

„Rumtreiber“ ausgegrenzten Jugendlichen.<br />

Die starke politische Indoktr<strong>in</strong>ation <strong>der</strong><br />

<strong>DDR</strong>-Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> sowie die Anwendung von<br />

ausgeprägtem militärischem Drill im Heimalltag<br />

waren typisch für die <strong>DDR</strong>-Heime. In<br />

den BRD-Heimen bestand dagegen häufig e<strong>in</strong><br />

starker kirchlicher E<strong>in</strong>fluss mit religiösen Ritualen,<br />

<strong>der</strong> <strong>in</strong> den <strong>DDR</strong>-Heimen nicht gewollt<br />

war, <strong>in</strong> denen die Ausübung religiöser Bedürfnisse<br />

den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n sogar verboten wurde.<br />

Das Heimsystem <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> war durch die<br />

zentrale Lenkung klar durchstrukturiert. Im<br />

Westen gab es ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>heitliches Heimsystem<br />

mit zugeteilten Funktionen, weil unterschiedliche<br />

Träger für die Heime zuständig<br />

waren. Es gab aber auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> BRD geschlossene<br />

Fürsorgeerziehungsheime mit eigenem<br />

Schul- und Arbeitssystem, die offensichtlich<br />

den Spezialheimen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> ähnelten. E<strong>in</strong>e<br />

Son<strong>der</strong>rolle spielte <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> <strong>der</strong> geschlossene<br />

Jugendwerkhof Torgau, <strong>der</strong> ab 1964 als<br />

strafvollzugsähnliche Diszipl<strong>in</strong>ierungse<strong>in</strong>richtung<br />

für Jugendliche im Alter von 14 bis<br />

18 Jahren e<strong>in</strong>gerichtet wurde, e<strong>in</strong>e vergleichbare<br />

E<strong>in</strong>richtung hat es nach unserer Kenntnis<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> BRD nicht gegeben. Hier wurden<br />

beson<strong>der</strong>s Dauerausreißer und K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit<br />

häufigen Diszipl<strong>in</strong>verstößen aus an<strong>der</strong>en<br />

Heimen für zwei bis sechs Monate e<strong>in</strong>gewiesen<br />

und häufig sehr brutal und menschenverachtend<br />

behandelt. Insgesamt waren ca.<br />

5.000 Jugendliche bis zur Wende den Diszipl<strong>in</strong>ierungsmaßnahmen<br />

<strong>in</strong> Torgau ausgesetzt<br />

(Gatzemann 2008, Puls 2009).<br />

Es ist nicht davon auszugehen, dass die gesamte<br />

Heimpädagogik <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

<strong>in</strong> den Normalheimen, als Instrument<br />

<strong>der</strong> Diszipl<strong>in</strong>ierung und staatlichen Drangsalierung<br />

von nicht <strong>in</strong>tegrationswilligen<br />

o<strong>der</strong> von den vorgegebenen sozialen Normen<br />

abweichenden K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

gekennzeichnet war. Es gab auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

durchaus e<strong>in</strong>e Vorstellung von Jugendfürsorge<br />

und Jugendhilfe mit dem Ziel, K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

<strong>in</strong> schwierigen sozialen Situationen aufgrund<br />

familiären Versagens zu unterstützen<br />

(Mannschatz unveröffentlichter Kommentar<br />

zu: <strong>Heimerziehung</strong> <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> 2011). Allerd<strong>in</strong>gs<br />

waren auch die sogenannten Normalheime<br />

<strong>der</strong> <strong>DDR</strong> schon aus organisatorischen<br />

Gründen, wie beispielsweise e<strong>in</strong>e ausgesprochen<br />

schlechte f<strong>in</strong>anzielle Ausstattung und<br />

häufig unzureichende fachliche Qualifikationen<br />

und fehlende Motivation <strong>der</strong> Erzieher,<br />

wenig geeignet, <strong>in</strong> ausreichendem Maße<br />

för<strong>der</strong>nde Bed<strong>in</strong>gungen für Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> zur<br />

Verfügung zu stellen. Ganz sicher überwogen<br />

<strong>in</strong> den Spezialheimen und beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> den<br />

Jugendwerkhöfen schädigende E<strong>in</strong>flüsse.<br />

Es ist unstrittig, dass <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> den<br />

Durchgangsheimen, den Jugendwerkhöfen,<br />

teilweise aber auch <strong>in</strong> den an<strong>der</strong>en Spezialheimen<br />

systematisch versucht wurde, e<strong>in</strong><br />

Exempel zu statuieren und den Willen von<br />

sozial auffälligen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

zu brechen mit dem Ziel, sie <strong>in</strong> die sozialistische<br />

Gesellschaft zu <strong>in</strong>tegrieren (Laudien &<br />

Sachse 2011).<br />

2. Auswertung <strong>der</strong> Expertenund<br />

Betroffenenbefragungen zu<br />

Bed<strong>in</strong>gungen, Schädigungsfolgen<br />

und Unterstützungsbedarf nach<br />

Heimaufenthalt <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

2.1 Ausgangspunkt <strong>der</strong> Befragungen<br />

Zur <strong>Heimerziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> liegen e<strong>in</strong>ige<br />

sehr umfassende Veröffentlichungen vor, die<br />

vornehmlich schriftliche Quellen auswerten<br />

(Jahn 2010, Sachse 2010, Zimmermann 2004).<br />

E<strong>in</strong>ige wenige Recherchen und Studien auf<br />

<strong>der</strong> Grundlage von Betroffenen-Befragungen<br />

wurden durchgeführt o<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Arbeit,<br />

können allerd<strong>in</strong>gs nicht als repräsentativ<br />

gelten, da e<strong>in</strong>e zu ger<strong>in</strong>ge Zahl von Betroffenen<br />

untersucht wurde und die Stichproben<br />

heterogen s<strong>in</strong>d. Die <strong>in</strong> diese Studien e<strong>in</strong>bezogenen<br />

Betroffenen waren <strong>in</strong> verschiedenen<br />

Heimtypen, an unterschiedlichen Heimorten<br />

und zu verschiedenen Zeiten untergebracht. Es<br />

lassen sich deshalb ke<strong>in</strong>e verlässlichen Aussagen<br />

zu den Folgen für die Betroffenen ableiten.<br />

Die Studien liefern aber trotz dieser Mängel<br />

wertvolle Erkenntnisse über den bislang noch<br />

nicht h<strong>in</strong>reichend untersuchten Heimalltag<br />

und die Erfahrungen <strong>der</strong> Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>.<br />

In den letzten Jahren s<strong>in</strong>d zunehmend<br />

auch Biografien ehemaliger Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>DDR</strong> <strong>in</strong> Buchform erschienen, und auch<br />

wurden Zeitzeugenberichte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Presse<br />

veröffentlicht. Die Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> konnten so auf<br />

bee<strong>in</strong>druckende Weise ihr häufig dramatisches<br />

Heimschicksal <strong>der</strong> Öffentlichkeit präsentieren<br />

und e<strong>in</strong>en wertvollen Beitrag gegen die noch<br />

bestehende Stigmatisierung <strong>der</strong> Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Bevölkerung leisten. E<strong>in</strong>zelfalldarstellungen<br />

dürfen aber selbstverständlich nicht ohne<br />

Weiteres verallgeme<strong>in</strong>ert werden.<br />

Für ihre Expertise konnten die Autoren aus<br />

Zeitgründen ke<strong>in</strong>e neuen repräsentativen<br />

Studien auf <strong>der</strong> Grundlage von quantitativ<br />

ausreichenden direkten Betroffenen-Befragungen<br />

erstellen. Umso dr<strong>in</strong>gen<strong>der</strong> war es, nach<br />

e<strong>in</strong>er Möglichkeit zu suchen, die Betroffenenperspektive<br />

<strong>in</strong> befriedigendem Umfang zu<br />

ermitteln. Die angewandte Methode bestand<br />

dar<strong>in</strong>, mit <strong>der</strong> Problematik vertraute Experten<br />

zu befragen und somit <strong>in</strong>direkt e<strong>in</strong> Bild <strong>der</strong><br />

Betroffenenperspektive zu gew<strong>in</strong>nen. Wo es<br />

möglich war, wurden zusätzlich Betroffenenberichte<br />

berücksichtigt und somit auch e<strong>in</strong>e<br />

direkte Sicht angewendet.<br />

Die auf diese Weise – direkt wie <strong>in</strong>direkt<br />

– ermittelte Betroffenensicht ergänzt<br />

als zusätzliche Informationsquelle die Ergebnisse<br />

<strong>der</strong> beiden an<strong>der</strong>en Expertisen zu den<br />

Rechtsfragen <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

(Wapler) und zu den Erziehungsvorstellungen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> (Laud<strong>in</strong> &<br />

Sachse), die hauptsächlich auf <strong>der</strong> Grundlage<br />

schriftlicher Quellen beruhen. In den von uns<br />

ausgewerteten Betroffenenberichten konnten<br />

E<strong>in</strong>zelheiten des Heimalltages erfasst werden,<br />

die wenig <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Dokumenten zu f<strong>in</strong>den<br />

s<strong>in</strong>d. Wir s<strong>in</strong>d davon überzeugt, dass sich mit<br />

dieser Sicht „von <strong>in</strong>nen“ die Perspektive auf<br />

die Problematik <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>DDR</strong> erweitert.<br />

2.2 Durchführung <strong>der</strong> Befragungen<br />

Die Angaben zur <strong>in</strong>direkten Betroffenenperspektive<br />

wurden <strong>in</strong> telefonischen und persönlichen<br />

Interviews mit Experten gesammelt.<br />

Diese haben als Berater, als Verfasser von<br />

Recherchen und Studien o<strong>der</strong> als Behandler<br />

e<strong>in</strong>en häufigen und <strong>in</strong>tensiven Kontakt zu<br />

den ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Außerdem<br />

wurden persönliche Berichte <strong>der</strong> Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>bezogen, die wir bei den Betroffenenanhörungen,<br />

aus uns zugesandten schriftlichen<br />

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