14.05.2014 Aufrufe

Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung

Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung

Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Rechtsfragen <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

S<strong>in</strong>ne und frei von allen Rassen-, faschistischen,<br />

militaristischen und an<strong>der</strong>en reaktionären<br />

Ideen und Tendenzen“. 82<br />

Nicht <strong>in</strong> die Zuständigkeit <strong>der</strong> Jugendämter<br />

übergegangen waren die Säugl<strong>in</strong>gs- und<br />

Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong>heime, die den Organen des<br />

Gesundheitswesens unterstanden. Gleiches<br />

gilt für die Heime für körperlich, geistig und<br />

seelisch beh<strong>in</strong><strong>der</strong>te K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche.<br />

Die Ausglie<strong>der</strong>ung dieser Bereiche <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong><br />

erfolgte ebenfalls 1947 mit dem<br />

„Statut für das Jugendamt und se<strong>in</strong>en Beirat“<br />

vom 15.7.1947, das auf <strong>der</strong> Grundlage des<br />

SMAD-Befehls Nr. 156 vom Präsidenten <strong>der</strong><br />

Zentralverwaltung für Volksbildung ausgearbeitet<br />

worden war. 83<br />

82 SMAD-Befehl Nr. 225 (Fn. 78), Nr. 2.<br />

83 Die Legitimationskette lässt sich wie folgt<br />

nachzeichnen: Per SMAD-Befehl Nr. 156 (Fn. 80)<br />

wurde dem Präsidenten <strong>der</strong> Deutschen Verwaltung<br />

für Volksbildung befohlen, Statute für den Beirat und<br />

die Jugendämter auszuarbeiten und dem Leiter <strong>der</strong><br />

Abteilung für Volksbildung zur Bestätigung vorzulegen<br />

(Ziff. 4). In diesem Statut (Fn. 81) hieß es, e<strong>in</strong>zelne<br />

Aufgaben <strong>der</strong> Jugendämter könnten an<strong>der</strong>en Behörden<br />

übertragen werden (Ziff. 3c). Nach den rechtsverb<strong>in</strong>dlichen<br />

Erläuterungen zu dem Statut hatten sich<br />

die Zentralverwaltungen darauf gee<strong>in</strong>igt, u. a. die<br />

Säugl<strong>in</strong>gs- und K<strong>in</strong><strong>der</strong>heime für K<strong>in</strong><strong>der</strong> bis drei Jahre<br />

sowie die Heime für geistig, seelisch und körperlich<br />

beh<strong>in</strong><strong>der</strong>te K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche bei den Organen<br />

des Gesundheitswesens anzusiedeln („Beschluss des<br />

Kuratoriums für Jugendfragen vom 26. September<br />

1947 – Erläuterungen zu den Bestimmungen über die<br />

Neuordnung <strong>der</strong> Jugendamtsarbeit“, <strong>in</strong>: Deutsche<br />

Verwaltung für Volksbildung [1947], 10–18, Ziff. 4.5,<br />

4.7 und 4.8). Nicht für dieses Gutachten relevant s<strong>in</strong>d<br />

weitere Zuständigkeitsverschiebungen zwischen den<br />

M<strong>in</strong>isterien für Volksbildung und Gesundheitswesen,<br />

die 1952 und 1953 stattfanden und das Vormundschafts-,<br />

Pflegschafts-, Beistands-, Adoptions- und<br />

Pflegek<strong>in</strong><strong>der</strong>wesen betrafen. Ab 1953 gehörten alle<br />

diese Aufgabenbereiche <strong>in</strong> die Zuständigkeit des<br />

Mi nisteriums für Volksbildung, vgl. §§ 12, 13 <strong>der</strong><br />

„Verordnung über die Übertragung <strong>der</strong> Angelegenheiten<br />

<strong>der</strong> freiwilligen Gerichtsbarkeit“ v. 15.10.1952,<br />

GBl. 1952, 1157, und §§ 1, 2 <strong>der</strong> „Verordnung über die<br />

Neuordnung <strong>der</strong> Zuständigkeit für das Aufgabengebiet<br />

<strong>der</strong> Jugendhilfe/<strong>Heimerziehung</strong> vom 28.5.1953, GBl.<br />

1953, 798.<br />

4.1.1.1 Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>te K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

Bei den beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten K<strong>in</strong><strong>der</strong>n muss nach<br />

<strong>der</strong> ersten Durchführungsbestimmung zur<br />

Heimverordnung 84 zwischen „bildungsunfähigen“<br />

und „bildungsfähigen“ beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n unterschieden werden; Letztere<br />

wurden nach 1964 als „Hilfsschüler“ bezeichnet.<br />

Die „bildungsunfähigen“ K<strong>in</strong><strong>der</strong> wurden<br />

<strong>in</strong> ihren Familien versorgt o<strong>der</strong> <strong>in</strong> Heimen<br />

des Gesundheitswesens untergebracht (§ 3<br />

Abs. 2a <strong>der</strong> 1. DfB zur HeimV). Schwere<br />

Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen bei M<strong>in</strong><strong>der</strong>jährigen mussten<br />

von den Eltern sowie von Ärzten o<strong>der</strong> sonstigen<br />

Angehörigen <strong>der</strong> Gesundheits- und<br />

Pflegeberufe bei den Organen des Gesundheitswesens<br />

des Kreises gemeldet werden. 85<br />

Konnten diese K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>richtung<br />

untergebracht werden, erhielten die<br />

Eltern jedenfalls nach 1986 f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung.<br />

86 Über die Situation beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ter<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> den Heimen des Gesundheitswesens<br />

ist wenig bekannt; die Forschungsliteratur<br />

zeichnet zudem e<strong>in</strong> une<strong>in</strong>heitliches Bild.<br />

E<strong>in</strong>e Studie aus dem Jahr 2001 stellt das<br />

Leben beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ter K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> <strong>in</strong> den<br />

Kontext „<strong>in</strong>stitutioneller K<strong>in</strong>desmisshandlung“<br />

und lässt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bewertung drei Tendenzen<br />

erkennen: Erstens habe man <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>DDR</strong> beh<strong>in</strong><strong>der</strong>te K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die nicht als schulfähig<br />

galten, aus dem gesellschaftlichen Leben<br />

weitgehend ausgeson<strong>der</strong>t. Zweitens hätten <strong>in</strong><br />

den Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>tenheimen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> zum<strong>in</strong>dest<br />

teilweise katastrophale Zustände geherrscht,<br />

84 Vom 27.11.1951, GBl. 1951, 1104.<br />

85 Anordnung über die Meldung von Körperbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen,<br />

geistigen Störungen, Schädigungen des<br />

Sehvermögens und Schädigungen des Hörvermögens<br />

v. 12.5.1954, geän<strong>der</strong>t durch Gesetz v. 12.1.1968;<br />

Anordnung Nr. 2 über die Meldung von Körperbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen,<br />

geistigen Störungen, Schädigungen des<br />

Sehvermögens und Schädigungen des Hörvermögens<br />

v. 4.7.1967. Beide Regelungen s<strong>in</strong>d abgedruckt <strong>in</strong>:<br />

Sozialis tisches Gesundheitsrecht. Textausgabe. 2. Aufl.<br />

1989, Berl<strong>in</strong>: Staatsverlag <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>.<br />

86 Verordnung über die beson<strong>der</strong>e Unterstützung<br />

<strong>der</strong> Familien mit schwerstgeschädigten K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />

v. 24.4.1986, <strong>in</strong>: Sozialistisches Gesundheitsrecht.<br />

Textausgabe. 2. Aufl. 1989, Berl<strong>in</strong>: Staatsverlag <strong>der</strong><br />

<strong>DDR</strong>.<br />

d. h. e<strong>in</strong>e adäquate gesundheitliche Behandlung<br />

und angemessene För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

war nicht sichergestellt. Drittens wurden<br />

offenbar K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die durch ihr Verhalten als<br />

„störend“ empfunden wurden, jedenfalls <strong>in</strong><br />

E<strong>in</strong>zelfällen fälschlicherweise als „bildungsunfähig“<br />

o<strong>der</strong> psychisch krank e<strong>in</strong>gestuft<br />

und <strong>in</strong> E<strong>in</strong>richtungen des Gesundheitswesens<br />

untergebracht. 87 E<strong>in</strong> differenzierteres<br />

Bild zeichnet e<strong>in</strong>e Untersuchung aus dem<br />

Jahr 2007 über die Situation geistig beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ter<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Erwachsener <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>.<br />

Hier werden den dokumentierten Missständen<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen stationären E<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>DDR</strong> auch positive Beispiele gegenübergestellt.<br />

88 Diese Diskrepanzen beruhen darauf,<br />

dass beide Untersuchungen sich weitgehend<br />

auf E<strong>in</strong>zelfälle berufen, <strong>der</strong>en Verallgeme<strong>in</strong>erbarkeit<br />

erst durch systematische Literatur-<br />

und Aktenauswertungen festgestellt<br />

werden könnte. Darüber h<strong>in</strong>aus müssten<br />

nicht nur die Zustände <strong>in</strong> den Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>tenheimen,<br />

son<strong>der</strong>n auch die E<strong>in</strong>weisungspraxis<br />

untersucht und den Erkenntnissen aus <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe gegenübergestellt werden.<br />

Die „bildungsfähigen“ K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen<br />

wie<strong>der</strong>um wurden unterschiedlich<br />

behandelt, je nachdem, ob sie als „schwererziehbar“<br />

e<strong>in</strong>gestuft wurden o<strong>der</strong> nicht (§ 7<br />

<strong>der</strong> 1. DfB zur Heimverordnung). Galten<br />

sie als „normal erziehbar“, wurden sie <strong>in</strong><br />

Son<strong>der</strong>schulen o<strong>der</strong> speziellen Internaten<br />

untergebracht, zuständig waren dann die<br />

Schulbehörden. 89 Für die „Schwererziehbaren“<br />

standen Spezialheime für „bildungsfähig<br />

Schwachs<strong>in</strong>nige“ bzw. später Hilfsschüler zur<br />

Verfügung, die den Organen <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

unterstanden.<br />

87 Gies 2001, 201 ff.<br />

88 Barsch 2007, 189 ff.<br />

89 Verordnung vom 5. Oktober 1951 über die<br />

Beschulung und Erziehung von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

mit wesentlichen physischen o<strong>der</strong> psychischen<br />

Mängeln, GBl. 1951, 915.<br />

4.1.1.2 Säugl<strong>in</strong>ge und Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong> unter<br />

drei Jahren<br />

Die sogenannten „Dauerheime“ für Säugl<strong>in</strong>ge<br />

und Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong> müssen von den „Wochenkrippen“<br />

unterschieden werden, <strong>in</strong> denen die<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> berufstätiger Eltern von montags bis<br />

freitags betreut wurden. Beide Heimarten<br />

wurden von den Organen des Gesundheitswesens<br />

verwaltet. Alle<strong>in</strong>erziehende Mütter<br />

konnten ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> ab 1950 auf Antrag <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Dauerheim unterbr<strong>in</strong>gen, wenn sie<br />

wegen Vollzeitbeschäftigung o<strong>der</strong> Schichtarbeit<br />

nicht selbst für das K<strong>in</strong>d sorgen<br />

konnten (§ 3 Abs. 1 des Gesetzes über den<br />

Mutter- und K<strong>in</strong><strong>der</strong>schutz 90 ). Diese Möglichkeit<br />

wurde im Jahr 1973 auch auf alle<strong>in</strong>erziehende<br />

Väter und Doppelverdiener-Paare<br />

ausgedehnt. 91 Zuständig für die Verfügung<br />

waren die Abteilungen Mutter und K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

bei den Räten <strong>der</strong> Kreise. 92<br />

Wurden die K<strong>in</strong><strong>der</strong> dagegen als gefährdet<br />

e<strong>in</strong>gestuft, so waren für die Anordnung<br />

<strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> jedenfalls seit 1969 die<br />

Organe <strong>der</strong> Jugendhilfe nach den allgeme<strong>in</strong>en<br />

Regeln zuständig. 93 Für die Durchfüh-<br />

90 Gesetz über den Mutter- und K<strong>in</strong><strong>der</strong>schutz<br />

und die Rechte <strong>der</strong> Frau v. 27.9.1950.<br />

91 §§ 1 bis 3 <strong>der</strong> Verordnung über die E<strong>in</strong>weisung<br />

und Aufnahme von Säugl<strong>in</strong>gen und Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />

<strong>in</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>krippen und Dauerheime v. 22.3.1973 – GBl.<br />

1973, 181.<br />

92 Vgl. die „Durchführungsbestimmung zu den<br />

§§ 2 und 3 des Gesetzes über den Mutter- und K<strong>in</strong><strong>der</strong>schutz<br />

und die Rechte <strong>der</strong> Frau“ v. 20.1.1951, GBl.<br />

1951, 37. Siehe aber M<strong>in</strong>isterium für Volksbildung<br />

1953, 60, das die Abteilung Jugendhilfe/<strong>Heimerziehung</strong><br />

für zuständig hält.<br />

93 Ziff. 2.2 und 2.3 <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>samen Anweisung<br />

über die Zusammenarbeit <strong>der</strong> Organe <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe und <strong>der</strong> Organe des Gesundheits- und<br />

Sozialwesens zur Verhütung und Beseitigung <strong>der</strong> sozialen<br />

Fehlentwicklung o<strong>der</strong> sonstigen Gefährdung von<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n im Alter bis zu drei Jahren, <strong>der</strong>en Erziehung,<br />

Entwicklung o<strong>der</strong> Gesundheit unter <strong>der</strong> Verantwortung<br />

<strong>der</strong> Erziehungsberechtigten nicht gesichert s<strong>in</strong>d,<br />

v. 3.4.1969, VuM Nr. 13, 79. Die Regelung ist abgedruckt<br />

<strong>in</strong>: Sozialistisches Gesundheitsrecht. Textausgabe.<br />

2. Aufl. 1989, Berl<strong>in</strong>: Staatsverlag <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>, dort<br />

fehlt allerd<strong>in</strong>gs die Ziff. 2.3, die für die Herausnahme<br />

des K<strong>in</strong>des aus dem Elternhaus die Voraussetzungen<br />

28 29

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!