Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung
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Erziehungsvorstellungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />
Verpflegung<br />
Bekleidung<br />
Jugendweihe<br />
Geschenke<br />
(Weihnachten, Geburtstag)<br />
Taschengeld (nur Schüler)<br />
Altersgruppe 1970 bis 1974 Ab 1974<br />
3 bis 6 Jahre 3 Mark tgl. 4 Mark tgl.<br />
6 bis 18 Jahre 3,30 Mark tgl. 4,50 Mark tgl.<br />
3 bis 6 Jahre 300 Mark jährl. 600 Mark jährl.<br />
6 bis 12 Jahre 400 Mark jährl. 700 Mark jährl.<br />
Ab 12 Jahren 600 Mark jährl. 800 Mark jährl.<br />
E<strong>in</strong>malig 200 Mark e<strong>in</strong>m. 300 Mark e<strong>in</strong>m.<br />
Alle Altersgruppen 50 Mark jährl. 50 Mark jährl.<br />
Alle Altersgruppen 30 Mark jährl. 60 Mark jährl.<br />
1. bis 4. Klasse 3 Mark monatl. 5 Mark monatl.<br />
5. bis 8. Klasse 5 Mark monatl. 8 Mark monatl.<br />
9. bis 12. Klasse 10 Mark monatl. 10 Mark monatl.<br />
Spielzeug Vorschüler und Schüler 50 Mark jährl.<br />
Ferienunterstützung<br />
3 bis 6 Jahre 40 Mark jährl. 60 Mark jährl.<br />
6 bis 18 Jahre 40 Mark jährl. 80 Mark jährl.<br />
Körperpflege<br />
3 bis 6 Jahre 10 Mark jährl. 70 Mark jährl.<br />
(e<strong>in</strong>schließlich Friseur) 12 bis 18 Jahre 40 Mark jährl. 80 Mark jährl.<br />
Kultur<br />
3 bis 6 Jahre Unbekannt 30 Mark jährl.<br />
6 bis 18 Jahre Unbekannt 50 Mark jährl.<br />
Schulmaterial Nach Klassenstufe 30 bis 45 Mark jährl. 35 bis 180 Mark jährl.<br />
Die Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Sätze s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Tabelle zusammengefasst. 541 Zum Vergleich<br />
s<strong>in</strong>d die Werte von 1970 beigefügt. 542 Da die<br />
Altersgruppen 1970 etwas an<strong>der</strong>s aufgeteilt<br />
waren, s<strong>in</strong>d die Zahlen nicht ganz exakt. 543<br />
Die <strong>in</strong>dividuelle Zuwendung betrug <strong>in</strong>sgesamt<br />
für drei bis sechs Jahre alte Insassen<br />
541 Die Zusammenstellung stammt aus: Sachse,<br />
2011, S. 118.<br />
542 M<strong>in</strong>isterium für Volksbildung: Dienstbesprechung<br />
am 14. Oktober 1969, TOP 1: Die<br />
Verbesserung <strong>der</strong> materiellen Ausstattung <strong>der</strong> Heime<br />
<strong>der</strong> Jugendhilfe und des Son<strong>der</strong>schulwesens sowie<br />
<strong>der</strong> materiellen Fürsorge <strong>der</strong> <strong>in</strong> diesen E<strong>in</strong>richtungen<br />
betreuten M<strong>in</strong><strong>der</strong>jährigen (mit Vorlage). In: BArch DR<br />
2/7988.<br />
543 Vorschläge zur Verbesserung <strong>der</strong> materiellen<br />
Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen <strong>in</strong> den<br />
Heimen <strong>der</strong> Jugendhilfe vom 15. April 1974. In: BArch<br />
DR 2/24316.<br />
etwa 205 Mark und für Jugendliche 250<br />
Mark monatlich.<br />
E<strong>in</strong>e Kontrolle von fast 500 Heimen aller<br />
Typen durch die Arbeiter-und-Bauern-<br />
Inspektion im Jahr 1974 kam zu folgendem<br />
Gesamturteil: „In <strong>der</strong> Mehrheit <strong>der</strong> Heime<br />
und Jugendwerkhöfe entsprechen aber die<br />
Lebensbed<strong>in</strong>gungen nicht den Anfor<strong>der</strong>ungen,<br />
die vom Staat für die Erziehung und<br />
Bildung <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen gestellt<br />
werden.“ 544 Dieses Gesamturteil wurde <strong>in</strong><br />
mehreren Fel<strong>der</strong>n differenziert begründet.<br />
544 Komitee <strong>der</strong> ABI: Kontrolle <strong>der</strong> Le b-<br />
ens bed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> den Normal- und Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen<br />
sowie Jugendwerkhöfen vom 8. Mai<br />
1974. In: BArch DR 2/12328.<br />
Konstatiert wurde für sämtliche Heimtypen<br />
• e<strong>in</strong>e „hohe Überbelegung“,<br />
• unzumutbare Wohn-, Lebens- und<br />
Betreuungsbed<strong>in</strong>gungen,<br />
• ungesetzliche Kürzungen von gesetzlichen<br />
Zuwendungen (Verpflegung,<br />
Bekleidung),<br />
• ungenügende schulische För<strong>der</strong>ung<br />
• vielfach ke<strong>in</strong>e regelmäßige mediz<strong>in</strong>ische<br />
Betreuung.<br />
Bemängelt wurde die Ausstattung <strong>der</strong> Räume<br />
<strong>in</strong> allen Heimtypen: „Viele Räume s<strong>in</strong>d mit<br />
ungeeignetem und oft veraltetem Mobiliar<br />
(teilweise Sp<strong>in</strong>de aus ehemaligen Wehrmachtsbeständen)<br />
ausgestattet, Fußböden<br />
schadhaft, Fenster defekt sowie Tapeten und<br />
Wandanstriche schadhaft. Nicht jedes K<strong>in</strong>d<br />
hat e<strong>in</strong>en Schrank zur Aufbewahrung se<strong>in</strong>er<br />
Kleidung und an<strong>der</strong>er persönlicher Gegenstände.“<br />
E<strong>in</strong>ige Heime waren angesichts<br />
dieser Zustände dazu übergegangen, die von<br />
Heim<strong>in</strong>sassen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Freizeit erarbeiteten<br />
Mittel für die Verbesserung <strong>der</strong> Ausstattung<br />
zu verwenden. So bezahlte das Heim „Hilde<br />
Coppi“ aus diesen Mitteln e<strong>in</strong>en Kühlschrank,<br />
Fußbodenbelag und Auslegware,<br />
Elektro- und Malerarbeiten <strong>in</strong> Höhe von<br />
23.000 Mark. Den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, so die Kritik <strong>der</strong><br />
Berichterstatter, bliebe angesichts <strong>der</strong>artig<br />
„<strong>in</strong>tensiver Arbeitse<strong>in</strong>sätze zu wenig Zeit<br />
zum Spielen und Lernen“.<br />
Kritisiert wurde <strong>in</strong> den Normalk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen<br />
e<strong>in</strong>e „spontane Uniformierung“.<br />
Heimleitungen kauften aus Bequemlichkeit<br />
und Kostengründen größere Bestände an<br />
gleichartiger Kleidung bei <strong>der</strong> Industrie auf<br />
und kleideten Insassen gruppenweise e<strong>in</strong>.<br />
Bemängelt wurde ebenso, dass <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen<br />
Heimen zur E<strong>in</strong>kleidung grundsätzlich Billigware<br />
gekauft wurde. Nach Berechnungen<br />
<strong>der</strong> Arbeiter-und-Bauern-Inspektion reichten<br />
die Sätze von jährlich 300 bis 600 Mark nicht<br />
aus, um K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche dem Durchschnitt<br />
<strong>der</strong> <strong>DDR</strong>-Bevölkerung entsprechend<br />
zu kleiden. Bei „Anlegen e<strong>in</strong>es strengen<br />
Maßstabes“ wurde für Mädchen zwischen 6<br />
und 14 Jahren 1.100 Mark für nötig erachtet.<br />
Diese Probleme vergrößerten sich dadurch,<br />
dass bereitgestellte Haushaltsmittel nicht<br />
abgerufen wurden. Zur F<strong>in</strong>anzierung <strong>der</strong><br />
Zuwendungen wurde zum Teil „<strong>in</strong> die Verfügungsrechte<br />
<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen<br />
und <strong>in</strong> ihr persönliches Eigentum“ e<strong>in</strong>gegriffen.<br />
Ausdrücklich wurde festgehalten, dass<br />
die ungerechtfertigten Unterschiede <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Lebensqualität, „dass E<strong>in</strong>richtungen mit<br />
unwürdigen Zuständen neben E<strong>in</strong>richtungen<br />
mit guten Lebensbed<strong>in</strong>gungen existieren“, <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Verantwortung <strong>der</strong> jeweiligen örtlichen<br />
Räte lag.<br />
Als schwerwiegendes Problem erwies sich<br />
die Verwaltung <strong>der</strong> „Eigenmittel <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
und Jugendlichen“. In 60 Prozent <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtungen,<br />
die durch die staatliche F<strong>in</strong>anzrevision<br />
geprüft worden waren, wurden diese<br />
Mittel „nicht auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong> vom<br />
M<strong>in</strong>isterium für Volksbildung festgelegten<br />
Grundsätze verwaltet.“ 545 Die zentralen Kritikpunkte<br />
waren:<br />
„Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen erhalten<br />
nicht bzw. nicht rechtzeitig die ihnen zustehenden<br />
Mittel <strong>in</strong> Form von Unterhaltsbeihilfen,<br />
Entlohnung aus Arbeitse<strong>in</strong>sätzen<br />
Renten u. a. (…) Die Eigenmittel, Sparbücher<br />
und Scheckhefte für persönliche Konten <strong>der</strong><br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen werden nicht sicher<br />
aufbewahrt. Geldbeträge werden zum Teil<br />
nicht auf die Sparguthaben e<strong>in</strong>gezahlt. (…)<br />
An bereits entlassene o<strong>der</strong> <strong>in</strong> an<strong>der</strong>e Heime<br />
verlegte K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche wird das<br />
persönliche Eigentum nicht ordnungsgemäß<br />
übergeben. Die Kontrollkräfte machen ebenfalls<br />
darauf aufmerksam, daß die Entlohnung<br />
<strong>der</strong> Jugendlichen <strong>in</strong> den Jugendwerkhöfen<br />
nicht dem Grundsatz gleicher Lohn für gleiche<br />
Leistung entspricht.“<br />
Die mediz<strong>in</strong>ische Notversorgung, so hieß<br />
es im ABI-Bericht weiter, war <strong>in</strong> allen Heimen<br />
gesichert. Nur 239 (rund 50 Prozent) <strong>der</strong><br />
untersuchten Heime hatten allerd<strong>in</strong>gs die<br />
vorgeschriebenen Verträge mit Allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong>ern<br />
abgeschlossen. Nachweise über<br />
mediz<strong>in</strong>ische Behandlungen führten nur 70<br />
545 Komitee <strong>der</strong> ABI: Kontrolle <strong>der</strong> Lebens<br />
bed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> den Normal- und Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen<br />
sowie Jugendwerkhöfen vom 8. Mai<br />
1974. In: BArch DR 2/12328.<br />
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