Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung
Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung
Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Was hilft ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> bei <strong>der</strong> Bewältigung ihrer komplexen Traumatisierung?<br />
E<strong>in</strong>e Betroffene berichtet:<br />
„Ich war acht Jahre <strong>in</strong> ambulanter Psychotherapie,<br />
die 360 Stunden s<strong>in</strong>d ausgeschöpft.<br />
Es hat mir sehr geholfen, hört sich viel an, aber<br />
ich b<strong>in</strong> ja noch nicht fertig. Ich war vorher sehr<br />
lange e<strong>in</strong> Pflegefall, habe nichts mehr geschafft,<br />
das b<strong>in</strong> ich nicht mehr. Jetzt bekomme ich nur<br />
noch Krisensitzungen über das Gesundheitsamt,<br />
e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelgespräch alle vier Wochen. Die Kasse<br />
zahlt ja nicht mehr, obwohl es doch was gebracht<br />
hat. Erst durch me<strong>in</strong>en ersten Aufenthalt <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er Traumakl<strong>in</strong>ik habe ich den Zusammenhang<br />
zwischen me<strong>in</strong>en Problemen und <strong>der</strong> Heimzeit<br />
herstellen können und das auch erst begriffen.<br />
Jetzt b<strong>in</strong> ich auf e<strong>in</strong>em guten Weg gewesen, kann<br />
aber nicht weitermachen, das ist schade und<br />
nicht richtig.“<br />
Von den Therapeuten und den Betroffenen<br />
wird beklagt, dass die zur Verfügung stehenden<br />
Kont<strong>in</strong>gente an Therapiestunden<br />
über die Krankenkassen bei den komplexen<br />
Problemen <strong>der</strong> Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> meist nicht<br />
ausreichen und die zwangsweise Unterbrechung<br />
<strong>der</strong> Therapie dann zu Rückschlägen<br />
führe. Es wäre deshalb s<strong>in</strong>nvoll, das bisherige<br />
Stundenkont<strong>in</strong>gent zu erhöhen und an den<br />
wirklichen Bedarf anzupassen.<br />
Auch <strong>in</strong> den ausführlichen Begutachtungen<br />
<strong>der</strong> ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> werden häufig<br />
Probleme mit e<strong>in</strong>er stationären Behandlung<br />
geschil<strong>der</strong>t. Folgendes Beispiel soll dies<br />
verdeutlichen:<br />
„E<strong>in</strong> Betroffener befand sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Rehakl<strong>in</strong>ik zur Behandlung. Bereits am ersten<br />
Tag verweigerte er die Teilnahme an den<br />
Gruppenangeboten und fühlte sich durch die<br />
ganze E<strong>in</strong>richtung und die Anlage des Hauses an<br />
das ehemalige K<strong>in</strong><strong>der</strong>heim er<strong>in</strong>nert. Er reagierte<br />
mit regressiven, k<strong>in</strong>dlichen Verhaltensmustern,<br />
stampfte wie e<strong>in</strong> 6-Jähriger auf den Boden,<br />
schrie herum und zeigte deutliche Anzeichen<br />
e<strong>in</strong>er Reaktivierung se<strong>in</strong>er Heimerfahrungen. Er<br />
rief zuletzt die Ehefrau an und verlangte, dass<br />
sie ihn sofort abhole, sonst würde er dort auf den<br />
Teppich p<strong>in</strong>keln.“<br />
E<strong>in</strong> Betroffener:<br />
„Ich habe e<strong>in</strong>en Versuch mit e<strong>in</strong>er Rehakl<strong>in</strong>ik<br />
gemacht, konnte die Gruppensitzungen nicht ab,<br />
war wie im Heim, alles <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe, auch die<br />
Flure waren wie im Heim, das geht gar nicht.“<br />
E<strong>in</strong>e Angehörige über e<strong>in</strong>e Betroffene:<br />
„Sie war zur Therapie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Rehakl<strong>in</strong>ik, die<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Nähe e<strong>in</strong>es damaligen Jugendwerkhofes<br />
liege. Diese örtliche Nähe g<strong>in</strong>g gar nicht, auch die<br />
Gruppensitzungen habe sie wie das Kollektiv im<br />
Heim empfunden. Auch könne sie nicht von <strong>der</strong><br />
Familie entfernt se<strong>in</strong>, habe zu viel Verlustangst.“<br />
Viele Betroffene äußern Ängste vor e<strong>in</strong>er<br />
Therapie und lehnen sie ganz ab. Als Gründe<br />
werden z. B. genannt:<br />
„Was soll das br<strong>in</strong>gen, ich kann die Heimerfahrungen<br />
doch nicht vergessen.“<br />
„Es kann ja doch nicht rückgängig gemacht<br />
werden und ich halte das auch nicht aus, mich<br />
mit den Erfahrungen zu konfrontieren.“<br />
„Ich kann nicht alles ständig detailliert bereden,<br />
das Reden hilft sowieso nichts, es macht<br />
alles eher noch schlimmer.“<br />
Aus diesen Aussagen wird deutlich, dass viele<br />
Betroffene e<strong>in</strong>e falsche Vorstellung von den<br />
Methoden und den Zielen e<strong>in</strong>er Psychotherapie<br />
haben. Erklärt man ihnen aber die Möglichkeiten,<br />
durch e<strong>in</strong>e Therapie gezielt z. B.<br />
die Ängste, Phobien und Panikattacken o<strong>der</strong><br />
die häufigen Wie<strong>der</strong>er<strong>in</strong>nerungssymptome<br />
bessern zu können, steigt die Bereitschaft<br />
und Motivation deutlich. Es ist also dr<strong>in</strong>gend<br />
erfor<strong>der</strong>lich, Betroffene über mögliche<br />
Therapieangebote, Methoden und s<strong>in</strong>nvolle<br />
Therapieziele aufzuklären und mehr Angebote<br />
qualifizierter Therapien zu schaffen.<br />
In vielen Fällen liegen neben den eigenen<br />
psychischen Problemen auch erhebliche<br />
Konflikte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Partnerschaft o<strong>der</strong> mit den<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n vor. Die Durchführung familientherapeutischer<br />
Interventionen, Paarberatungen<br />
und Erziehungsberatungen wären hier e<strong>in</strong>e<br />
s<strong>in</strong>nvolle ergänzende Hilfe. Die Letzteren<br />
dürfen aber ke<strong>in</strong>esfalls über die Jugendämter<br />
laufen o<strong>der</strong> dort stattf<strong>in</strong>den, da sonst zu<br />
viele Berührungsängste und Reaktivierungen<br />
<strong>der</strong> eigenen Heimerfahrungen zu befürchten<br />
wären.<br />
Das wichtigste Therapieziel ist nach Me<strong>in</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Berater/-<strong>in</strong>nen:<br />
„Es sollte den Betroffenen bewusst gemacht<br />
werden, dass sie jetzt endlich wie<strong>der</strong> selbstbestimmt<br />
handeln können.“<br />
2.6 Welche Angebote werden bisher <strong>in</strong> den<br />
Bundeslän<strong>der</strong>n gemacht?<br />
Bisher werden die Beratungen <strong>der</strong> ehemaligen<br />
Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> den schon bestehenden<br />
Beratungsstellen für die Opfer politischer<br />
Verfolgung <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> bei den Landesbeauftragten<br />
o<strong>der</strong> auch <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Beratungse<strong>in</strong>richtungen,<br />
z. B. <strong>der</strong> Betroffenenverbände,<br />
o<strong>der</strong> von Vere<strong>in</strong>en angeboten. Lediglich <strong>in</strong><br />
Thür<strong>in</strong>gen wurde durch das M<strong>in</strong>isterium<br />
bereits im März 2011 e<strong>in</strong>e spezifische Anlaufstelle<br />
e<strong>in</strong>gerichtet. In den an<strong>der</strong>en neuen<br />
Län<strong>der</strong>n s<strong>in</strong>d Anlaufstellen <strong>in</strong> Planung. Es<br />
werden allgeme<strong>in</strong>e Beratungen, Hilfen bei<br />
<strong>der</strong> Aktenrecherche, bei <strong>der</strong> Stellung von Rehabilitierungsanträgen,<br />
<strong>der</strong> Vermittlung von<br />
Therapien angeboten. Bisher standen (mit<br />
Ausnahme von Thür<strong>in</strong>gen) auch ke<strong>in</strong>e Mittel<br />
von den Län<strong>der</strong>n für zusätzliche Beraterstellen<br />
zur Verfügung, obwohl <strong>der</strong> Bedarf <strong>in</strong> den<br />
letzten Monaten regelmäßig angestiegen ist.<br />
E<strong>in</strong>ige Beratungsstellen s<strong>in</strong>d bereits<br />
bemüht, sich mit an<strong>der</strong>en E<strong>in</strong>richtungen und<br />
Institutionen zu vernetzen, die <strong>in</strong> die Hilfsangebote<br />
mite<strong>in</strong>bezogen werden sollten, und<br />
auch die Therapieangebote zu eruieren und<br />
zu verbessern. So wurde <strong>in</strong> Mecklenburg-<br />
Vorpommern e<strong>in</strong>e Tageskl<strong>in</strong>ik mit speziellen<br />
Angeboten zur Behandlung für politisch Verfolgte<br />
<strong>der</strong> <strong>DDR</strong> und für Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong>gerichtet.<br />
Insgesamt hat nach den Angaben <strong>der</strong><br />
Berater/-<strong>in</strong>nen aber noch ke<strong>in</strong>e ausreichende<br />
Vernetzung mit den an<strong>der</strong>en beteiligten<br />
Bereichen stattgefunden, s<strong>in</strong>d sie <strong>in</strong> vielen<br />
Belangen auf sich alle<strong>in</strong>e gestellt.<br />
„Wir schweben noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em luftleeren<br />
Raum.“<br />
Es werden im Folgenden als s<strong>in</strong>nvolle Anregung<br />
nur e<strong>in</strong>ige Beispiele <strong>der</strong> schon laufenden<br />
Aktivitäten <strong>in</strong> den neuen Bundeslän<strong>der</strong>n<br />
aufgeführt:<br />
In e<strong>in</strong>igen Bundeslän<strong>der</strong>n wurden Recherchen<br />
zur besseren Aktenübersicht <strong>in</strong> Auftrag<br />
gegeben o<strong>der</strong> auch zur Lage <strong>der</strong> Rehabilitierungen<br />
(Sachsen-Anhalt).<br />
Die Gedenkstätte Torgau bietet Führungen,<br />
Veröffentlichungen, Zeitzeugenberichte,<br />
Ausstellungen an und organisiert regelmäßige<br />
jährliche Treffen, an denen immer mehr<br />
Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>, die auch <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Spezialheimen<br />
waren, teilnehmen. Auch e<strong>in</strong>e begleitete<br />
Selbsthilfegruppe zum sexuellen Missbrauch<br />
<strong>in</strong> Heimen wird angeboten.<br />
In e<strong>in</strong>igen Bundeslän<strong>der</strong>n werden bereits<br />
Fortbildungsangebote zur <strong>Heimerziehung</strong><br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> z. B. für Richter, Staatsanwälte,<br />
Versorgungsämter, Arbeitsämter angeboten,<br />
die bisher mit unterschiedlichem Interesse<br />
angenommen werden. In Brandenburg wird<br />
auch e<strong>in</strong>e haus<strong>in</strong>terne Gutachterschulung<br />
von Gutachterexperten für die LVA und<br />
Gerichte angeboten, die jährlich fortgesetzt<br />
werden soll.<br />
In Mecklenburg-Vorpommern wurde<br />
e<strong>in</strong>e Interessengeme<strong>in</strong>schaft für ehemalige<br />
Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> im November 2011 gegründet,<br />
so wurde e<strong>in</strong> Forum für die Betroffenen<br />
geschaffen.<br />
In Thür<strong>in</strong>gen wurde durch das Sozialm<strong>in</strong>isterium<br />
im Juni 2010 e<strong>in</strong> spezieller Arbeitskreis<br />
für die <strong>Aufarbeitung</strong> <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong><br />
<strong>der</strong> Jugendhilfe <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> und für die<br />
Erarbeitung von Präventionsmaßnahmen<br />
e<strong>in</strong>gerichtet. E<strong>in</strong> unabhängiges Gremium<br />
unterschiedlicher Berufsgruppen wurde<br />
zusammengestellt, das regelmäßig zusammentritt,<br />
um die notwendigen Schritte zur<br />
Verbesserung <strong>der</strong> Situation <strong>der</strong> ehemaligen<br />
Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> zu erörtern und e<strong>in</strong>zuleiten.<br />
In Brandenburg und Thür<strong>in</strong>gen wurden<br />
von den Landesbeauftragten öffentliche<br />
Veranstaltungen/Kongresse zum Thema<br />
356 357