Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung
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Was hilft ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> bei <strong>der</strong> Bewältigung ihrer komplexen Traumatisierung?<br />
auch dadurch verstärkt, dass bei Ausgängen<br />
teilweise Anstaltskleidung getragen werden<br />
musste, um Fluchtversuche zu erschweren.<br />
Die soziale Ausgrenzung <strong>der</strong> Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
wurde bewusst <strong>in</strong> Kauf genommen. Direkte<br />
Folge waren Verdienstausfälle, fehlende<br />
berufliche Entwicklungsmöglichkeiten und<br />
fehlende Beiträge für die Sozialversicherung<br />
Auch die soziale Integration mit dem<br />
Ziel, auf e<strong>in</strong>e Lebensführung außerhalb<br />
<strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> vorzubereiten, wurde<br />
nicht geför<strong>der</strong>t. Ausgang wurde meist nur <strong>in</strong><br />
Begleitung gewährt. Es gab kaum Kontakte<br />
mit Jugendlichen außerhalb des Heimes.<br />
Durch die Gruppenerziehung im Heim<br />
konnten häufig auch ke<strong>in</strong>e Erfahrungen mit<br />
dem Umgang mit dem an<strong>der</strong>en Geschlecht<br />
gemacht machen. K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche<br />
wurden den normalen sozialen Bed<strong>in</strong>gungen<br />
entfremdet und zur Unselbstständigkeit<br />
erzogen.<br />
Hilfen zur sozialen Integration nach dem<br />
Heimaufenthalt gab es kaum. Vielmehr<br />
erfolgten nach Entlassung aus dem Heim<br />
weiter Beobachtung und Kontrolle durch<br />
die Staatssicherheit. Ehemalige Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
galten als verdächtige Personen, denen<br />
Zugang <strong>in</strong> Ämter und Funktionen verwehrt<br />
wurde. Sie wurden als Menschen zweiter<br />
Klasse behandelt.<br />
3.7 Zusammenfassung: schädigende<br />
Bed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> Heimen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />
Abhängig von <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen Situation gab<br />
es auch hilfreiche und för<strong>der</strong>liche Aspekte<br />
e<strong>in</strong>es Heimaufenthaltes. Für K<strong>in</strong><strong>der</strong> aus<br />
desolaten Familienverhältnissen mit Erfahrungen<br />
von psychischer, körperlicher und<br />
sexueller Gewalt konnte e<strong>in</strong> Heimaufenthalt<br />
unter Umständen Schutz vor weiteren<br />
Traumatisierungen bieten. Klare Regeln und<br />
e<strong>in</strong> festgelegter Tagesablauf ermöglichten<br />
die Erfahrung e<strong>in</strong>er Struktur und damit<br />
Orientierung. Für sozial depravierte K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
boten die Versorgung und <strong>der</strong> Schutz vor<br />
weiterer Vernachlässigung im Heim im<br />
E<strong>in</strong>zelfall sicherlich e<strong>in</strong>e wichtige Chance<br />
zur Stabilisierung. Die E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />
Geme<strong>in</strong>schaft, Beachtung und Anerkennung<br />
waren für K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit fehlendem familiärem<br />
Rückhalt potenziell e<strong>in</strong>e wertvolle Unterstützung.<br />
Wenn diese unterstützenden Bed<strong>in</strong>gungen<br />
tatsächlich <strong>in</strong> ausreichendem Maße<br />
verfügbar gewesen wären, hätte <strong>der</strong> Heimaufenthalt<br />
das Ziel e<strong>in</strong>er För<strong>der</strong>ung und Integration<br />
von benachteiligten und aufgrund<br />
äußerer Bed<strong>in</strong>gungen haltlosen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und<br />
Jugendlichen erfüllen können. För<strong>der</strong>liche<br />
Rahmenbed<strong>in</strong>gungen waren jedoch oft nicht<br />
vorhanden, beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> den Spezialheimen<br />
und Jugendwerkhöfen haben schädigende<br />
Faktoren sicherlich überwogen.<br />
Spektrum potenzieller schädigen<strong>der</strong><br />
Faktoren durch <strong>Heimerziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />
Durch die Heime<strong>in</strong>weisung:<br />
• Ausgrenzung und soziale Isolierung<br />
• Extreme Verunsicherung und Ängstigung<br />
bezüglich des weiteren Schicksals<br />
• Erfahrung von Ohnmacht und<br />
Hilflosigkeit<br />
• Unrechtserfahrungen (Verlust des Vertrauens<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e gerechte Gesellschaft)<br />
Durch den Heimaufenthalt:<br />
• Verlust sozialer und familiärer<br />
B<strong>in</strong>dungen<br />
• Systematische Unterdrückung persönlicher<br />
Neigungen und Interessen<br />
• Emotionale Vernachlässigung<br />
und fehlende För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
Persönlichkeitsentwicklung<br />
• Fehlen adäquater psychiatrischer o<strong>der</strong><br />
psychotherapeutischer Behandlung<br />
• Entwürdigung durch Verletzen <strong>der</strong> Intimsphäre<br />
(alles spielte sich öffentlich ab)<br />
• Systematische Demütigungen z. B. durch<br />
diszipl<strong>in</strong>arische Maßnahmen<br />
• Psychische Gewalt durch Beschimpfen,<br />
Entwerten, Bestrafen<br />
• Körperliche und sexuelle Gewalt<br />
• Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> beruflichen<br />
Entwicklungsmöglichkeiten<br />
• Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung sozialer<br />
Entwicklungsmöglichkeiten<br />
Es lassen sich durch die Heime<strong>in</strong>weisung<br />
ausgelöste schädigende Bed<strong>in</strong>gungen von<br />
Schädigungen während des Aufenthalts im<br />
Heim unterscheiden. Häufige Folge <strong>der</strong> Heime<strong>in</strong>weisung<br />
waren soziale Ausgrenzung, Isolierung<br />
und Stigmatisierung als Heimk<strong>in</strong>d.<br />
Die Heime<strong>in</strong>weisung löste typischerweise<br />
e<strong>in</strong>e extreme Verunsicherung bezüglich des<br />
persönlichen Schicksals aus, verbunden mit<br />
Gefühlen von Ohnmacht und Hilflosigkeit.<br />
Bei Heimaufnahmen, die gegen den Willen<br />
des K<strong>in</strong>des o<strong>der</strong> des Jugendlichen geschahen,<br />
resultierte e<strong>in</strong>e subjektive Erfahrung<br />
von Unrecht und Willkür verbunden mit<br />
dem Verlust des Vertrauens <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er gerechte<br />
Gesellschaft.<br />
Potenziell schädigende Bed<strong>in</strong>gungen<br />
durch den Heimaufenthalt waren <strong>der</strong> Verlust<br />
sozialer und familiärer B<strong>in</strong>dungen. Persönliche<br />
Neigungen und Interessen, die nicht<br />
mit den Vorgaben <strong>der</strong> Heimleitung übere<strong>in</strong>stimmten,<br />
wurden systematisch unterdrückt.<br />
Individuelle Fähigkeiten und Vorlieben und<br />
damit die Entwicklung e<strong>in</strong>er selbstsicheren<br />
Persönlichkeit wurden nicht geför<strong>der</strong>t.<br />
Fehlende Zuwendung zu dem e<strong>in</strong>zelnen K<strong>in</strong>d<br />
o<strong>der</strong> Jugendlichen resultierte <strong>in</strong> emotionaler<br />
Vernachlässigung. Obwohl viele Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
an psychischen Problemen und manifesten<br />
psychischen Erkrankungen litten, fehlte e<strong>in</strong>e<br />
adäquate psychiatrische o<strong>der</strong> psychologische<br />
Versorgung.<br />
Die Intimsphäre von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />
beispielsweise bei <strong>der</strong> Körperhygiene<br />
wurde nicht geschützt. Es gab ke<strong>in</strong>erlei<br />
Rückzugsmöglichkeit und ke<strong>in</strong>en privaten<br />
Bereich. K<strong>in</strong><strong>der</strong> wurden häufig durch öffentliches<br />
Kritisieren bloßgestellt und beschämt.<br />
Ziel war die Anpassung <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />
Jugendlichen an die Heimdiszipl<strong>in</strong>. Diese<br />
Diszipl<strong>in</strong> wurde mit psychischer Gewalt und<br />
mit Strafmaßnahmen durchgesetzt. Individuelle<br />
Probleme und psychische Belastungen<br />
fanden dabei ke<strong>in</strong>e Berücksichtigung. Kam es<br />
zu körperlicher o<strong>der</strong> sexueller Gewalt durch<br />
Betreuer o<strong>der</strong> durch an<strong>der</strong>e Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>,<br />
waren die betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> dieser schutzlos<br />
ausgesetzt. Gewaltsame Bestrafungsrituale<br />
<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Heimgruppen wurden<br />
durch Erzieher toleriert o<strong>der</strong> sogar <strong>in</strong>itiiert.<br />
Grundlegende Persönlichkeitsrechte wurden<br />
im Heim nicht geschützt, es herrschten oft<br />
entwürdigende Zustände.<br />
Aufgrund fehlen<strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung und fehlen<strong>der</strong><br />
Angebote wurden schulische und berufliche<br />
Entwicklungsmöglichkeiten beh<strong>in</strong><strong>der</strong>t.<br />
Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> erfuhren e<strong>in</strong>e soziale Stigmatisierung<br />
und gesellschaftliche Ausgrenzung<br />
und wurden h<strong>in</strong>sichtlich Fähigkeiten zu e<strong>in</strong>er<br />
selbstständigen Lebensführung und zur<br />
Gestaltung von sozialen Kontakten nach dem<br />
Heimaufenthalt nicht ausreichend geför<strong>der</strong>t.<br />
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